Aufbruch im Land der Mullahs

Moscheen mit Zwiebelkuppeln, legendäre Heiligtümer und Orte wie aus 1001 Nacht: Der Iran öffnet sich für Besucher.

Foto: oliver gerhard

Teheran. Der Ajatollah fliegt. Ein Windhauch genügt, und Khomeini gleitet zwei Meter über den Marmorboden. Einmal hebt der lebensgroße Foto-Aufsteller kurz ab und versperrt die Eingangstür des „Palastes der 40 Säulen“. Schnell eilt ein Arbeiter herbei, um den einstigen Revolutionsführer wieder einzufangen. Khomeini ist überall: Streng blickt er von Hauswänden und Plakaten, mit ernster Miene hängt er in Amtsstuben, Hotels und Geschäften.

Foto: oliver gerhard

Jedes Jahr wehen schwarze Fahnen auf Teherans Plätzen, wenn sich der Todestag Khomeinis im Juni jährt. Dieses Jahr zum 25. Mal. Die Straßen sind leer an diesem Gedenktag, die Hauptstädter ausgeflogen ans Kaspische Meer. Insbesondere die junge Generation — rund zwei Drittel der Iraner sind unter 35 Jahre alt — kann mit dem geistlichen Führer, der 1979 die islamische Revolution einleitete, nicht mehr viel anfangen. An normalen Tagen trifft sie sich bei Tee und Wasserpfeife. „Das ist alles, was die Geistlichkeit an Vergnügungen erlaubt“, sagt der 30-jährige Guide Amir Nazeri, der unsere Reisegruppe durch das Land begleitet.

Wir lassen uns treiben mit dem Strom der Flaneure, die durch das Tal von Darband im Norden Teherans spazieren. Rechts und links eines Wildbaches reihen sich Restaurants und Teehäuser. Qualm steigt von Holzkohlegrills mit Lamm-Kebab, beständig fächeln die Grillmeister den Duft in Richtung der Passanten. Paare und Familien plaudern in lauschigen Sitzecken und Felsnischen.

Die Frauen tragen das vorgeschriebene Kopftuch auf der äußersten Spitze ihres Haardutts — hier ist man liberal. Die Acht-Millionen-Metropole Teheran bildet den Auftakt unserer einwöchigen Reise von Nord nach Süd, über Isfahan bis nach Shiraz. Während vor den Fenstern des Busses Wüstenlandschaften vorbeigleiten, löchern wir Reiseleiter Amir mit Fragen: über Wirtschaftsembargo und Islam, Religionspolizei und Scharia.

Doch das Interesse ist gegenseitig: Sobald wir in einer Stadt aus dem Bus steigen, heißen uns Passanten willkommen, rufen uns Autofahrer Grußworte zu, wollen sich Familien mit uns fotografieren lassen. Unser Besuch auf dem Imam-Platz in Isfahan gerät zum Menschenauflauf: „Wie gefällt Euch der Iran?“, fragt eine Tourismus-Studentin mit charmantem Augenaufschlag und verteilt Visitenkarten mit ihrer Facebook-Adresse. Diese Website ist zwar im Iran gesperrt, „aber wir finden für alles einen Weg“, sagt sie.

Schnell sind wir von weiteren Studenten umlagert, diskutieren über die Stimmung im Land — die Jugend brennt für eine Öffnung des Irans. Die Kulisse für das Gespräch wirkt wie aus 1001 Nacht: Der Meidan-e Emam, wie der Platz offiziell heißt, gehört zum Weltkulturerbe — als eine von 17 Stätten im Iran.

Er ist einer der größten öffentlichen Plätze der Welt und einer der schönsten im Vorderen Orient. Über schattigen Arkaden ragen die mit Mosaik-Fliesen geschmückten Zwiebelkuppeln der Imam- und der Lotfullah-Moschee auf. Traditionell wurde auf dem Imam-Platz gehandelt, gefeiert, Gericht gehalten — und Polo gespielt.

Erst seit kurzem ist der Platz autofrei, und so jagen nur Kutschen mit Glockengeklingel um die Brunnen. Familien machen Picknick auf den Wiesen, Kinder vollführen Kunststücke auf dem Fahrrad, junge Männer spielen Backgammon, locker verhüllte Frauen rauchen dezent im Halbdunkel.

Eine Tagesfahrt trennt uns noch von Shiraz. Im letzten Abendlicht treten wir durch die schmale Pforte zum Heiligtum Schah Tscheragh, eine der wichtigsten Pilgerstätten der iranischen Schiiten: Hier liegen die Gräber von zwei Brüdern des achten Imams, eines bedeutenden Nachfahren des Propheten. Bunt beleuchtete Kuppeln umgeben einen gigantischen Innenhof. In einer nicht endenden Reihe pilgern die Besucher am Schrein vorbei, berühren und küssen ihn. Prächtige Kronleuchter bringen unzählige silberne Spiegel zum Glitzern.

Nicht weit vom Heiligtum entfernt liegt die Khan-Schule für Islamwissenschaften. Rund 200 Schüler werden dort unterrichtet. Unter einem Zitronenbaum treffen wir den Dozenten Mullah Hosseini. Der schwarze Turban weist den Geistlichen als „Seyed“ aus, als einen Nachkommen Mohammeds. Er betont, wie friedlich die Schiiten seien. Koranlehrer war auch Hafis, der größte Dichter des Irans (1320-1389), der in Shiraz lebte.

Johann Wolfgang von Goethe gehörte zu seinen Bewunderern: „Und mag die ganze Welt versinken, Hafis mit dir, mit dir allein will ich wetteifern!“ Bis heute wird der „Diwan“, das Werk mit Hafis’ Versen, eifrig gelesen und als Orakel konsultiert: Vor dem Mausoleum mit seinem Grab stehen Männer mit Kanarienvögeln, die Hafis-Verse aus einem Kasten picken. Brunnen plätschern im Rosengarten des Hafis-Grabes. Mit geschlossenen Augen stehen Männer und Frauen an die Säulen des Mausoleums gelehnt, im Hintergrund trägt eine Stimme Verse vor.

Immer wieder tritt ein Besucher an den Alabasterstein, um ihn kurz zu berühren. Hafis besang Liebe und Treue, Lebensgenuss und Wein, Glauben und Toleranz. Eine Mischung, die schon zu seinen Zeiten auf Widerspruch stieß — aber die sich viele im Iran für die Zukunft wünschen.

Der Autor dieses Textes reiste mit Unterstützung von Iran Doostan Tours, SKR-Reisen und Turkish Airlines.

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