Australien: Kleine Abenteuer am anderen Ende der Welt
Ein ganzes Jahr reisen und arbeiten: „Working Holiday“ auf dem faszinierenden Fünften Kontinent. Ein Erfahrungsbericht.
Düsseldorf. "Down under" - viele Menschen träumen von diesem Kontinent am anderen Ende der Welt. Endlos lange, weiße Strände, und noch endlos längere, leere Straßen. Tagelang trifft man in der Einöde des Outbacks nicht mehr als nur eine Handvoll Menschen, während sich an Sydneys berühmten Bondi Beach hunderte Sonnenanbeter täglich aalen.
Australien ist ein Land der Superlative. Die Palette der Möglichkeiten ist riesig: Mit dem Bulli drauflos fahren. Aktiv-Urlauben mit Wandern, Fahrrad fahren oder surfen. Partys feiern an Australiens Ostküste. Das Weltwunder Great Barrier Reef beim Tauchen, Schnorcheln oder einem Segeltörn erkunden. Berühmte Weinregionen und pulsierende Metropolen genießen oder am Ayers Rock die faszinierende Kultur der Ureinwohner kennenlernen.
Sogar Skifahren kann man in Australien. Drei Monate bei der Obsternte im Einsatz Das alles hat natürlich seinen Preis. Teure Fernreisen bleiben oft Träume. Junge Leute haben Glück, denn mit einem "Working Holiday"-Visum ist es möglich, diesen fernen Kontinent am anderen Ende der Welt zu besuchen.
Ein Jahr dürfen sich 18- bis 30-Jährige verschiedenster Nationalitäten in Australien aufhalten - Urlaub machen und arbeiten. Das Visum kann um ein weiteres Jahr verlängert werden, wenn man drei Monate lang "fruit picking" macht, also bei der Obsternte hilft. So hat auch die australische Wirtschaft etwas davon, denn es werden immer händeringend Helfer auf den unzähligen Plantagen und Farmen gesucht.
Der "Traveller" lernt Einheimische und Gleichgesinnte aus aller Welt kennen. Er wird Bananen, Kirschen und Weintrauben ernten oder Rinder zusammen treiben. Dies klingt nach Plackerei (was es auch ist). Aber es juckt auch in den Fingerspitzen, wenn man daran denkt, einmal richtig harte Arbeit auf dem Feld zu leisten, Cowboy zu spielen und an seine Grenzen zu gehen - und dabei womöglich sogar noch giftige Schlangen oder Spinnen aufzuscheuchen oder Kängurus im Nachbarfeld beim morgendlichen Boxkampf zu beobachten.
Ich war dort und habe die wohl beeindruckendsten Jahre meines Lebens in Australien verbracht. Nach einem ersten zweimonatigen Trip in den Semesterferien entlang Australiens menschenleerer Westküste bekam ich Lust auf mehr.
Kohle zusammengekratzt, das WG-Zimmer leergeräumt, die Kartons in Mutters Keller gestapelt - und ab ging es mit einem "Working Holiday"-Visum von Düsseldorf nach Brisbane, der Hauptstadt des Sunshine State Queensland.
Dort musste ich erst einmal den für das Visum nötigen Papierkram erledigen. Ein australisches Konto muss eröffnet, eine Steuernummer beantragt werden. Dann ist man im System und kann loslegen.
In den Backpacker-Hostels lernt man schnell Gleichgesinnte kennen, kann sich Job- oder Reisetipps oder ein günstiges Auto verschaffen. Mit dem ersten eigenen Auto und einer Freundin aus England fuhr ich also von der Cape York Peninsula in Australiens Norden, wo ich einige Wochen im Bewässerungsteam einer Bananenfabrik - begleitet von den giftigsten "King Brown Snakes" und Co. - meine Urlaubskasse aufstockte, einmal quer durchs Land ins Northern Territory nach Darwin. Achtung: Hier lauern Krokodile in idyllisch anmutenden Billabongs (Wasserlöchern).
Von Darwin kann man ganz einfach in den Süden nach Adelaide durchfahren - es geht immer nur geradeaus. Vorbei an "Roadkill" - angefahrenen Rindern oder Kängurus am Straßenrand - und majestätischen Adlern, die über ihre Beute wachen.
Vorbei geht es an den mächtigen "Devils Marbles", gigantisch anmutenden, riesigen, steinernen Murmeln inmitten der Wüste. Alle 100 Kilometer taucht einmal ein Roadhouse auf, wo man volltanken und einen Kaffee trinken kann.
Von Alice Springs ist es nur ein kurzer Abstecher, rund 400 Kilometer, zum Höhepunkt im Landesinneren: Ayers Rock (oder Uluru, wie ihn die Ureinwohner nennen). Noch mal ungefähr drei Tagesfahrten weiter, und man erreicht Adelaide. Fast ein Katzensprung. Von hier fuhr ich über die längste gerade Straße der Welt - 146,6 Kilometer ohne Krümmung - nach Margaret River, südlich von Perth. Hier wollten wir erst einmal bleiben.
Im kleinen Backpacker-Hostel wohnten wir drei Monate in einer internationalen Großfamilie. Wir waren 30 junge Menschen und arbeiteten auf den Weinfeldern. Abends gab es immer Essen aus aller Welt - Sushi, Pizza, Barbecue. "Heute koche ich Euch mal einen dicken Topf Spaghetti à la Mama", sagt Maria aus Italien. Und macht sich laut singend ans Werk. Ich habe dort Freundschaften fürs Leben geschlossen. So ein intensives Miteinander schweißt zusammen.
Wer als Deutscher nach Australien reist, muss sich erst einmal an die Lebenseinstellung der Australier gewöhnen. "No worries" ("keine Sorgen") lautet sie. Kein Wunder, braucht man doch locker zwei Wochen pure Fahrtzeit, um die von mir zurückgelegte Strecke zu fahren. Und dann hat man erst das halbe Land gesehen. Um also die australische Lebensart genau kennen zu lernen, ist ein Jahr Aufenthalt unbedingt nötig, denn Eile hat man hier nicht.
Deutsche Backpacker stehen mit ihrer Gründlichkeit und Verlässlichkeit ziemlich hoch im Kurs auf dem australischen Arbeitsmarkt - solange sie auch mal eine Portion Geduld mitbringen, können sie schon den richtigen Job finden.
Ein Jahr ist lang und viele Backpacker möchten danach gar nicht wieder heimkehren, sondern noch weiter die Welt bereisen. Ein geplatzter Autoreifen im Outback, eine Strandparty mit hunderten jungen Leuten in Byron Bay oder das erste lebensbedrohliche wilde Tier in freier Wildbahn erleben - jeder Mensch, der hier länger bleibt, erlebt unvergessliche Momente.
Sollte sich nicht vielleicht jeder in jungen Jahren einmal trauen, über den Tellerrand zu schauen, fernab von der vertrauten Umgebung? In Zeiten der Globalisierung eine andere Sprache lernen und mehr als nur das Bier im alljährlichen All-Inclusive Urlaub bestellen können?
In der Arbeitswelt ist heutzutage fast alles international - aber wissen wir eigentlich, wie andere Nationen ticken? Vielleicht bereitet ein Jahr Auszeit nach Schule oder Studium besser auf das Leben vor. Mann könnte doch ein paar Sonnenstrahlen tanken, von denen es dort, am anderen Ende der Welt, so viele gibt. Sie helfen, mit mehr Gelassenheit den weiteren Lebensweg zu beschreiten.