Spanien Costa Blanca – wo die Paella wächst

Von Spaniens Reisanbaugebiet Marjal Pego-Oliva direkt in die Pfannen der Paella-Restaurants.

Klimabegünstigt und durch die Berge der Sierra de Segaria vom Hinterland abgeschirmt: das Reis-Anbaugebiet Marjal Pego-Oliva.

Foto: Helge Sobik

Der Ibis weiß nicht, was sie da unten tun. Der Flamingo schaut irritiert, wenn er sieht, wie Bernat Ortola in der Ferne in die Knie geht und mit der rechten Hand nach dem pechschwarzen Boden greift, ihn prüfend knetet und wieder fallen lässt, später mit dem Traktor zurückkehrt, dann die Felder erst mit dem Wasser der Flüsse Bullent und Raçons flutet, danach Saatgut ausbringt. 120 Tage später ist Bernat wieder da ist, lässt das Wasser durch Schleusentore ab und erntet: den besten Reis für die valencianische Paella, der mit Safran gefärbt in Pfannen überall im Land brutzeln wird und die spanische Spezialität schlechthin ist.

Reisanbau im
Naturschutzgebiet

Die Ibisse, Flamingos, Adler, zahllose Enten, Kaninchen und Wildschweine, dazu Bernat Ortola und seine etwa 400 Mitstreiter – sie alle teilen sich dieselbe Heimat, diese vor Jahrhunderten verlandete Lagune gut 90 Kilometer südlich von Valencia, die heute ein Naturschutzgebiet ist. Ibis, Flamingo, Adler und all die anderen haben ihre Ruhe in der Marjal Pego-Oliva – und Bernat Ortola kann gemeinsam mit vielen Kollegen auf ebener Fläche Reis anbauen. Auf Feldern im Naturschutzgebiet und unter demselben Schutz wie Flüsse, Kanäle, Schilfgürtel.

Keiner der mehr als 400 Parzellenbesitzer lebt ausschließlich davon, für viele ist es ein Hobby. Zwölf aktive Farmer oder Farmergruppen gibt es aktuell. Warum Ortola das macht? „Um eine Tradition am Leben zu halten“, sagt er. Selbst wenn es sich nicht sonderlich rechnet, obwohl das Kilo Reis später in Stoffsäckchen für vier bis fünf Euro in den Verkauf kommt. Er mache das, um das Landschaftsbild jener sogenannten Marjal, der Marsch unmittelbar vor den Toren seiner Heimatstadt Pego zu wahren. Und um weiter Paella mit der regionalen Reissorte Bomba zu essen, die nicht klebt oder klumpt. Und schließlich auch, weil die Paella hier, im spanischen Land Valencia, erfunden wurde.

„Unsere Marsch“, erzählt Ignacio Segura von der Naturschutzbehörde, „liegt vier bis sechs Meter unter Meeresniveau und ist im Halbkreis von Bergen umgeben. Aller Regen, der dort im Hinterland fällt, gelangt irgendwann hierher – teils über die Flüsse, teils in unterirdischen Wasseradern. Erst hier kommt es wieder heraus, weil es wasserdurchlässige Gesteinsschichten gibt. Für Flora und Fauna ist das perfekt. Und für den Reisanbau auch. Es muss fast gar nicht gedüngt werden, weil der Boden so reichhaltig an Nährstoffen ist.“

Die Kombinationen in
den Pfannen sind vielfältig

Die strengen Umweltauflagen im Naturschutzgebiet, die auch für die Reisfarmer gelten, versprechen nebenbei beste Qualität. Rafel Frau-Navalón kann das nur recht sein. Er wurde geradezu mit Paella und ihren vielen Variationen aufgezogen und soll einmal das Restaurant des Vaters in der Avenida de Fontilles in Pego übernehmen. Seit Jahren stehen sie gemeinsam am Herd. Ihre Spezialität liest sich auf Deutsch seltsam, weil es gar kein wirklich gebräuchliches Wort dafür gibt: die Mehrzahl von Reis,  „arroces“ auf Spanisch. Sogar einen Begriff für Reis-Spezialitätenrestaurants gibt es. Das sind „Arrocerias“.  Warum all das? Weil Reis dort erstaunlich populär ist. Und weil die Reis-Küche ungeahnt vielfältig ist und sich so etwa mit dieser Zutat im Mittelpunkt viel weiter nördlich in Europa nie ergeben hat.

Alle schwören auf
den Bomba-Reis

In der Küche duftet es diesen Vormittag nach in der Pfanne angeschwitztem Knoblauch. Die kompletten Knollen erhitzt Rafel dort unter der riesigen Dunstabzugshaube in ein wenig Olivenöl, gibt bald Tomaten und Saubohnen, Schweinerippchen, Blutwurst und Huhn hinzu, dann den Bomba-Reis aus der Marjal, schließlich ein paar Tassen Wasser. Die Mengen hat er genau im Griff: „Auf zehn Gramm genau“, sagt er und lacht. Der große Vorteil der Sorte Bomba ist, dass sie viel Flüssigkeit aufnehmen kann  – „auch, dass sie verzeiht, wenn man mal zu viel Wasser hinzugeben sollte.“

Am Ende kommt
ein Ei drüber

Gerade in der Gegend um Pego besonders beliebt ist Arrós amb Crosta, so etwas wie „Reis mit Kruste“ – eine Zubereitungsweise, die bereits seit der Mitte des 15. Jahrhunderts belegt ist. Dafür werden pro Person zwei Eier über die fast servierfertige Mahlzeit gegeben, und alles kommt für eine knappe Viertelstunde in den Backofen, bis jene Ei-Kruste goldbraun ist. Angeschnitten und serviert wird dieses Reisgericht erst, nachdem es etwa eine halbe Stunde geruht hat. Früher haben die Bauern frühmorgens ihre frische Crosta als Lunchpaket mit zur Arbeit auf die Felder genommen und erst Stunden später dort gegessen. Warm war sie im Inneren dann noch immer.

Ohnehin essen die Einheimischen ihre Reisgerichte traditionell nur mittags. Wer so etwas abends bestellt, mag einen guten Geschmack haben  – und entlarvt sich dennoch als Fremder. Den Leuten aus der Region ist die herzhafte Mahlzeit vor dem Schlafengehen zu schwer.

Wie derweil Teilzeit-Bauer Bernat Ortala seinen Reis am liebsten isst? Er überlegt lange, schaut seinen Sohn fragend an. Sein Blick sagt so etwas wie: „Was fragt der da?“. Und dann kommt doch die Antwort: „Das ist eigentlich egal, irgendwie tagesformabhängig. Hauptsache, er ist von hier. Hauptsache es ist Arroz Bomba.“

Mit Tintenfisch
oder Kaninchen

Und wie er dann zubereitet sei, ob mit Tintenfischtinte schwarz gefärbt, ob als klassische Paella mit Meeresfrüchten oder mit Safran und Kaninchen oder mit Ei überbacken? „Das hängt davon ab, worauf ich gerade Lust habe.“ Eigentlich genau die richtige Sichtweise. Und wie Rafel Frau-Navalón sich ernährt? Er lacht. „Montag und Dienstag gibt es Reis, Mittwoch meistens, Donnerstag wahrscheinlich, Freitag ist anders. Da gibt es immer Nudeln. Und übers Wochenende wieder Reis, damit ich auf keinen Fall etwas vermisse.“