Ein Gletscher-Kölsch auf Uunartoq

Der unbekannte Süden Grönlands lockt mit Eisbergen, Wildblumen und frisch gebrautem Bier aus Gletschereis.

Mit 37 Grad ist das Wasser angenehm wärmer als in deutschen Freibädern. Draußen in der Bucht hinter den Feldern mit saftigen Butterblumen treiben derweil Eisberge vorbei. Dahinter ragen steile Granitberge empor. Der muschelförmige Mount Ketil (2010 m) und seine beiden Nachbarn gehören mit ihren senkrechten Wänden zu den besten Kletterspots der Welt. Und dieses Traumpanorama genießt man mit einem echten Kölsch in der Hand — natürlich eisgekühlt im wahrsten Sinne. So lässt sich Urlaub machen in Grönland.

Ein Gletscher-Kölsch auf Uunartoq
Foto: Martin Wein

Möglich ist diese Idylle, wenn nicht im August oder September zufällig ein Kreuzfahrtschiff seine Passagiere für ein paar Stunden in den Tenderbooten ausspuckt, auf der winzigen Insel Uunartoq vor der Südküste Grönlands. Schon die Wikinger planschten vor 1000 Jahren in einem Felsenpool aus Natursteinen. Wie Ruinen eines Siedlungsplatzes in der Nähe belegen, taten es ihnen die Inuit später gleich.

Anders als im Westen der Insel mit der schon recht geschäftigen Hauptstadt Nuuk und dem Touristenmagnet Ilulissat mit seinen Hotels und Tour-Anbietern, hat der Süden Grönlands noch wenig von seiner gelassenen Abgeschiedenheit verloren. Zwei Bretterbuden dienen auf Uunartoq als Umkleiden und an Wochenenden kommen vor allem Einheimische mit ihren Booten aus den oft Dutzende Kilometer entfernten Siedlungen in das natürlich gewärmte Freibad.

Die Erkundung der Südküste beginnt am Eriksfjord auf dem internationalen Flughafen von Narsasuaq. Die US-Amerikaner haben das Rollfeld im Zweiten Weltkrieg als Hub für die Überführung ihrer Kampfjets angelegt. 10 000 Maschinen sollen dort abgefertigt worden sein. Seit 1946 landen auch Zivilmaschinen. Allerdings ist die Landebahn zu kurz für Großraumjets. So kommen im Sommer nur robuste Propellermaschinen, die es allenfalls bis Kopenhagen schaffen.

Vor dem Flughafengebäude gibt es ein Hotel mit 80 Zimmern und einen Supermarkt. Sonst wartet nur Natur — blaue Glockenblumen, Arktische Weidenröschen und Wollgras an den Bachläufen. Dazu bei Windstille ein Heer von Fliegen, denen nur ein Kopfnetz zuverlässig Einhalt gebietet.

Wer weiter will in die eigentlichen Orte an der Küste, der muss zu Fuß gehen. Sechs bis sieben Tagesmärsche sind es bis Narsaq. Ein paar Schafsfarmen dienen unterwegs als Unterkunft. Der Franzose Jacky Simoud bringt Touristen und Einwohner dagegen mit seinen wendigen Küstenbooten weiter. Schon seit Jahren ist der drahtige Bretone in der Region aktiv und hat sich neue Schiffe für sechs oder zwölf Passagiere angeschafft. Mit 28 Knoten heizt sein Skipper Inuk über den türkisblauen Fjord.

Rechts zieht das Schafzüchterdorf Qassiarsuk vorbei, wo zur Jahrtausendwende ein Langhaus und eine winzige Kirche aus Torfsoden nachempfunden wurden. Auf den grünen Wiesen am geschützten Ende des Fjords hatte Erik der Rote, wegen Mordes aus Island verbannt, gut 1000 Jahre zuvor ein neues Leben begonnen. Seine Nachfahren blieben 400 Jahre.

Wasserfälle rauschen vorüber und Inuk dreht zur Freude der Besucher kapriziöse Runden um erste Eisschollen. Das Frühjahr sei ungewöhnlich kühl gewesen, erzählt er. Viel Eis trieb von der weitgehend unbewohnten Ostküste um das gefürchtete Kap Farvel herum in den Süden. Darunter sind kapitale Eisberge in Hochhaus-Format. Mit ihren Torbögen, Zinnen und Spitzen dümpeln sie oft wochenlang im Wasser, bis wieder ein Stück abbricht und der Eisberg mit gefährlichem Poltern auf der Suche nach einem neuen Schwerpunkt aus dem Gleichgewicht kracht.

Weil die Sonne die Küste heute verwöhnt, biegt Inuk kurzentschlossen in den westlichen Breegefjord ab. An einem hölzernen Steg kann man dort an Land gehen und über tonnenschweres Geröll zur Kante des Doppelgletschers aufsteigen, kritisch beäugt von Möwen und Seeadlern. In der noch kaum überwucherten Landschaft sieht man hautnah, wie die Eisströme während der Eiszeit auch Europas Topographie modellierten. Auch auf Grönland sind sie nun sichtbar im Rückzug begriffen und hinterlassen kahle Felswände und turmhohe Schuttmoränen. Ein mächtiges Gletschertor dient als Ausfluss für das Schmelzwasser.

Freundlicher ist der Anblick von Narsaq, dessen bunte Holzhäuser sich auf Wiesen voller Butterblumen unter einem 800 Meter hohen Doppelberg ducken. Am Hafen steht der einzige Schlachthof Grönlands für die Schafe aus dem Süden. Es gibt eine Schule für die Köche der Insel. Und die Brauerei ist auch wieder in Betrieb. Unter dem Namen Qajaq vertreibt sie unter anderem ein recht brauchbares Kölsch mit vier oder fünf Prozent Alkohol. Gebraut wird es mit dem Wasser aus den Eisbergen. Fischer sammeln sie dazu vor der Küste ein und schleppen sie in den Hafen. Vor 1000 bis 4000 Jahren eingefroren, dürfte ihr Eis das sauberste Wasser der Welt enthalten, werben die Betreiber. Weiter draußen liegt auf einer vorgelagerten Insel nur noch 100 Kilometer entfernt von Kap Farvel die südlichste Stadt Nanortalik. Ihren Namen hat sie von den Eisbären, die gelegentlich auf großen Schollen aus dem Nordosten angetrieben werden. Seit 300 Jahren treiben die Dänen dort Handel mit den Inuit. Die Jagd und Verarbeitung von Sattelrobben spielen bis heute eine gewisse Rolle. Der alte Kolonialhafen mit den niedrigen roten Holzhäusern der alten Handelsstation ist als Museum erhalten.

Dahinter thront zwischen Blumen und Granitblöcken die weiße Kirche mit ihrem Dekor in Weiß, Blau und Gelb. Weiß steht dabei für die Eisberge, Blau für das Meer, Gelb für die Sonne, wenn sie denn zwischen Atlantikstürmen und Küstennebel mal wieder scheint. Ab 2004 haben ausländische Investoren in der Nähe von Nanortalik eine Goldmine betrieben. Aber die Einheimischen wollten dort nicht arbeiten. Und ausländische Arbeiter fanden die Gegend zu unwirtlich. So musste das Unternehmen 2013 wieder schließen. Die Goldbarren aus Grönland hätten inzwischen echten Sammlerwert, erzählt Niels Tækker Jepsen, der die Touristen-Info am Hafen betreibt.

Um die Lage der Stadt richtig einzuschätzen, schickt er Besucher über einen schmalen Pfad auf den Rabenhügel hinter dem Friedhof. Aus 300 Metern Höhe wirkt Nanortalik mit seinen 1500 Einwohnern nach einer Stunde Fußmarsch wie ein Spielzeugdorf — spektakulär umzingelt von den menschenleeren Gebirgskämmen de Küste und den Weiten des Nordatlantiks.

In Qaqortoq haben Mia Simonsen-Kliemann und ihr Mann Frederick zum Kaffeemik in ihr grünes Haus am Hang eingeladen. Zwar sind Smartphones auch auf Grönland längst verbreitet. Doch die Internetnutzung ist teuer. Wichtige Ereignisse bespricht man allgemein doch lieber gemeinsam bei starkem Kaffee und Pfannkuchen mit selbstgepflückten Blaubeeren.