Kanada Eine Zugfahrt in die Wildnis Kanadas

Der Rocky Mountaineer fährt seit 25 Jahren durch die Bergwelt. Vom Fenster aus können die Passagiere sogar Lachse beobachten.

Foto: dpa/Rocky_Mountaineer_Railtours

Vancouver. Es ist früh am Morgen in Vancouver, British Columbia, als die ersten Sonnenstrahlen auf die blitzblank geputzten Waggons treffen. Begleitet von einem Dudelsackspieler schreiten die Passagiere über einen roten Teppich zu dem historischen Zug. Auf dem beflaggten Bahnsteig herrscht ehrfurchtsvolle Erwartung, fast wie bei einem Staatsakt. „All aboard“ schallt es über den Bahnsteig, und schon jetzt ist klar: Eine Reise mit dem Rocky Mountaineer ist keine gewöhnliche Zugfahrt.

Ein bisschen fühlt es sich an wie im Flugzeug, wenn die Hostessen in ihren adretten, dunkelblauen Uniformen Getränke-Trolleys durch die Gänge schieben. Nur die Wolken sind, anders als im Flieger, nicht durch winzige Fenster, sondern durch ein großes Panoramadach zu sehen. Wie eine gläserne Kuppel wölbt es sich über den oberen Teil der Doppelstockwagen. Wer von Anfang an entspannt den Kopf zurücklegt, kann so gleich den Sonnenaufgang über den Rocky Mountains als dramatisches Rundum-Schauspiel erleben.

Damit unterwegs keine Minute der Eisenbahnromantik verlorengeht, verkehrt der Rocky Mountaineer traditionell nur tagsüber. In den Broschüren wird die historische Trasse von Vancouver nach Calgary als eine der eindrucksvollsten Bahnstrecken der Welt beschrieben.

Die meisten Mitreisenden blicken zunächst skeptisch aus dem Fenster, denn die Reise beginnt eher nüchtern in einem Industriegebiet. Karge, öde Felslandschaften und das eintönige Rattern des Zuges wirken beinahe einschläfernd. Einer jungen Frau fallen tatsächlich die Augen zu; ein älterer Mann zupft in nervöser Erwartung am Gurt seines Fotoapparats. Stunde um Stunde schlängeln sich die Schienen wie ein kleiner Fluss durch die unberührten Weiten Kanadas.

Nach wenigen Stunden haben die meisten Fahrgäste gemerkt, wie entspannend es sein kann, sich einfach mal zurückzulehnen und durchs Panoramadach zu beobachten, wie Fisch- und Weißkopfseeadler über den Waggons ihre Kreise ziehen. Neben den Gleisen äsen ein paar Hirsche, und ab und zu sind aus dem Zugfenster auch ein Elch oder ein Wapiti zu sehen. Es soll sogar Schwarz- oder Grizzlybären geben, die sich bis an die Zugstrecke vorwagen. Diese Information sorgt gleich mehrmals für helle Aufregung im Zug. „Da drüben!“ — „Hast Du gesehen?“ — „Ist das einer?“ Doch in den meisten Fällen entpuppt sich der Mythos Bär als Windstoß oder verdorrtes Gestrüpp.

Je weiter der Zug in die Bergmassive der Rocky Mountains vordringt, umso vielversprechender wird die Landschaft. Und tatsächlich — das Ausharren lohnt sich. Wie ein gewaltiger Schatten erhebt sich plötzlich der majestätische Mount Robson ganze 3954 Meter in den Himmel. Am Fuße des höchsten Berges der kanadischen Rockies wirkt selbst der imposante Rocky Mountaineer wie ein winziger Spielzeugzug.

Mit großen Augen lehnen sich die Passagiere in den spitzen Haarnadelkurven über die offenen Zugplattformen, um zu fotografieren, wie sich das Vorderteil des Blechwurms um den hohen Berg windet. Foto-Stopps sind während der Fahrt leider nicht möglich, doch an besonders spektakulären Aussichtspunkten drosselt der Lokführer die Geschwindigkeit.

„Wir nennen das Kodak-Tempo“, erklärt er. „Unsere Spitzengeschwindigkeit beträgt 90 Kilometer pro Stunde, aber normalerweise fahren wir nicht schneller als 50.“

Landschaftsprägend ist insbesondere der Fraser River, der mächtigste Fluss in British Columbia, der an seiner engsten Stelle nördlich von Yale nur 33 Meter breit ist. Mit gewaltiger Kraft zwängt er sich durch einen schmalen Canyon und peitscht dabei 72 Millionen Tonnen Wasser pro Minute durch die schmale Felsspalte; doppelt so viel wie an den Niagarafällen die Felsen hinabstürzt. Die tosenden Wassermassen und die aufschäumende Gischt haben der Stelle den Namen „Hell’s Gate“ eingebracht.

In der Nähe des Örtchens „Salmon Arm“ mahnt die Hostess zu besonderer Aufmerksamkeit. Dem Aufschrei „Guck mal da!“ folgend, drücken hunderte Fahrgäste prompt ihre Nasen an den Panoramascheiben platt. Tiefrote, längliche Wesen tummeln sich wie lebendige Paprikaschoten im klaren Wasser. Einige tauchen kurz auf, halten inne und bewegen sich dann zickzack weiter vorwärts. „Das sind die Schuppen der großen Wildlachse“, erklärt Hostess Sophie Slavich. „Sie wirken im Wasser so farbintensiv, dass sie sogar im Vorbeifahren deutlich sichtbar sind.“ Jedes Jahr kehren die kanadischen Lachsschwärme an ihren Ursprungsort zurück. Dabei ist der Fraser River ihre wichtigste Reiseroute.

Früher, so berichtet die deutschsprachige Bordzeitung „Mile Post“, tummelten sich rund um den Shushwap Lake so viele laichende Lachse, dass die Siedler sie mit Mistgabeln aus dem Wasser spießten, um mit ihnen die Felder zu düngen. Für die Ureinwohner, die Indianer-Stämme der First Nations, ist der Lachsfang noch heute eine Haupteinnahmequelle. Nach wie vor werfen die Fischer ihre Netze im Fluss aus und trocknen die Tiere ganz traditionell an der Luft. Im Speisewagen des Rocky Mountaineer gehört daher der wilde Sockeye-Lachs mit Senfvinaigrette an Fenchel- und Röstkartoffelsalat zu den Spezialitäten.

Vor 130 Jahren, am 7. November 1885, wurde in der kleinen Siedlung Craigellachie der letzte Schienenbolzen für das Eisenbahnnetz der Pacific Railway eingeschlagen — eine Stelle, die der Zug auch heute noch passiert. Ein original Schienenstück, eine alte Lok und eine Gedenktafel erinnern an das große Ereignis und sind bei den Passagieren ein beliebtes Fotomotiv.

Damals war der Bau einer Bahnstrecke in der unwirtlichen Landschaft eine echte Herausforderung. Für die Kleinstadt Kamloops auf halber Strecke zwischen Vancouver und Calgary zahlt sich die Investition jedoch bis heute aus, denn dort legt der Rocky Mountaineer gleich auf zwei Strecken einen Übernachtungsstopp ein.

„In manchen Zügen sitzen mehr als 1000 Passagiere“, sagt Gary Aldest vom Fremdenverkehrsamt Kamloops. „Da werden eine Menge Hotelzimmer benötigt, und das bedeutet Arbeit für viele Leute. Das Wichtigste aber ist, dass Menschen aus allen Teilen der Erde von hier Erinnerungen mit nach Hause nehmen.“ Auch der am gleichnamigen See gelegene Ort Lake Louise verdankt seine Entwicklung dem Bau der Eisenbahnstrecke. „Um 1890 war der damalige Präsident von Canadian Pacific Railway, Cornelius van Horn, so beeindruckt, dass er beschloss, kleine Chalets bauen zu lassen. So konnten Zugreisende aus dem Osten dort im Sommer zwei bis drei Monate verbringen, um zu wandern“, berichtet der österreichische Hotelmanager Gregor Resch. Er leitet das weltberühmte Fairmont Hotel Chateau Lake Louise, das umgeben von hohen Tannen wie ein romantisches Traumschloss über einem Märchenwald thront. Die Autorin reiste mit Unterstützung von Rocky Mountaineer.

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