Geister und Gärten: Schlösser und Gutshäuser in Lettland
Cesis (dpa/tmn) - Einst gab es in Lettland mehr als 1000 Rittergüter. Rund 300 sind noch erhalten. Ein Besuch lohnt sich nicht nur für Architektur- und Gartenliebhaber - auch Geisterfans kommen auf ihre Kosten.
Lettland ist nichts für Eilige. Natürlich gibt es dort Raser auf der Autobahn und Menschen, die durch die Hauptstadt Riga hetzen. Aber wer hinaus aufs Land fährt, sollte Zeit und ein großes Bedürfnis nach Ruhe mitbringen. So lassen sich am besten links und rechts des Weges immer wieder Kleinodien entdecken - alte Gutshäuser, kleine Burgen und Schlösser mit spannender Geschichte, liebevoll gestaltete Gärten und Heerscharen von Weißstörchen.
Mit ihren langen Beinen staksen sie gemächlich über die Felder, auf der Suche nach Futter. Kaum ein Haus, das nicht auf einem langen Mast oder hoch oben auf einem abgestorbenen Baum ein Storchennest in seiner Nähe hätte.
Schon bei Sonnenaufgang fangen sie an zu klappern - weit und breit das einzige Geräusch, das Besucher morgens sanft aus dem Schlaf holt, nachdem sie abends beim Gezirpe der Grillen in einem zum Hotel umgebauten Wirtschaftsgebäudes des ehemaligen Gutes Annas eingeschlafen sind. Wer hierherkommt, will Ruhe und Entschleunigung.
Gemächlich und selbstverständlich begleitet von Storchengeklapper geht es auch in Ungurmuiza nördlich von Cesis zu. Das 1732 als Orellenhof errichtete Herrenhaus stammt aus einer Zeit, als in Lettland niemand ein Gebäude aus Stein bauen durfte. Also errichtete der Besitzer Balthasar von Campenhausen einen zweistöckigen Bau, der vom Boden bis zur Decke komplett aus Kiefernholz besteht.
„Als ich das Haus 1952 zum ersten Mal sah, war es eine Ruine“, erzählt Ivar Zemitis, der deutschsprachige Gäste durch das seit 1999 in weiten Teilen rekonstruierte Barockgebäude führt. „Wir sind glücklich, dass wir so weit sind, unseren Gästen das Haus wieder zeigen zu können.“
Vom großen Saal im Erdgeschoss führt eine von Herzblattlilien gesäumte Sichtachse durch den von uralten Eichen bestandenen Garten zum gleichfalls blutrot gestrichenen Teehaus.
Nicht nur im Orellenhof, sondern überall in Lettland macht sich die Liebe zu blühenden Blumen bemerkbar, die in jedem Hausgarten wachsen und frisch geschnitten in großen Vasen stecken. So empfängt der Duft von weißen Lilien auch die Besucher in Schloss Dikli, nordwestlich der Stadt Valmiera (Wolmar), 1896 im neobarocken Stil errichtet und häufig als eines der schönsten Landgüter Lettlands bezeichnet.
Eindrucksvoll sind die rund 20 Kamine und Kachelöfen, die die heutigen Besitzer größtenteils in Riga zusammengetragen und dann bei der Renovierung in vielen Räumen installiert haben. Nur drei davon gehören zum Original-Inventar von Dikli - einer davon steht im mit Schwarzerle und Kiefer rustikal gestalteten Foyer mit seiner zweigeteilten, geschwungenen Holztreppe.
Diese verdankt ihren Originalzustand der Sowjetzeit, als das Gut als Sanatorium genutzt wurde. „Wie in jedem guten sowjetischen Betrieb wurde das Holz jeden Herbst mit Ölfarbe gestrichen“, erzählt Ineta Litte, die Geschäftsführerin des heute im Schloss untergebrachten Nobelhotels.
Schon 1493 wurde hier ein erstes Herrenhaus errichtet, das Mitte des 18. Jahrhunderts einer adeligen Dame namens Charlotta von Rozen gehörte. „Wenn man Glück hat, kann man sie hier noch treffen“, raunt die Hotelmanagerin mit verschwörerischer Miene. Die, die Charlotta gesehen haben wollen - vornehmlich in den Zimmern 11 und 12 -, sprechen von einem durchscheinenden Wesen in türkisblauem Gewand.
Eng verwoben mit dem russischen Zarenhaus ist die Geschichte von Schloss Rundale. Es gilt mit seinen 138 Zimmern als prächtigstes Barockschloss des Baltikums und wird heute unter anderem für Staatsempfänge genutzt. Der dreiflüglige Komplex nach Versailler Vorbild entstand zwischen 1736 und 1740 als Sommerresidenz für Ernst Johann Biron. Er sollte als Herzog von Kurland und Vertrauter der Zarin Anna Iwanowna die Region unter russischer Kontrolle halten.
In Lettland heißt es, wenn der Storch ausbleibt, dann bringt das Unglück. In Rundale ist das aber eher unwahrscheinlich. Denn wer auf dem Weg dorthin ausnahmsweise mal keine Störche gesehen haben sollte, wird hier fündig: In der Deckenmitte des Weißen Saales, im Zentrum einer alles überstrahlenden Sonne, befindet sich ein Storchennest - samt echter Zweige, die mit Gips verkleistert dort auf ewig befestigt wurden. Nur das Klappern, das besorgen die Besucher selbst: mit ihren Absätzen auf dem Holzfußboden.