Grüne Industriestadt in der Ostukraine: Donezk vor der EM
Donezk (dpa/tmn) - Donezk will auch deutsche Touristen der Fußball-Europameisterschaft anlocken. Die DFB-Elf bestreitet dort zwar kein Gruppenspiel, die Industriestadt setzt aber auf ihr Flair zwischen Ruhrgebiet-Nostalgie und moderner Metropole mit viel Grün.
Bässe wummern aus einem Lautsprecher auf dem Puschkin-Boulevard von Donezk. Zwischen üppigen Büschen, gemütlichen Gartenlokalen und schlanken Kunstskulpturen verdrehen sich Rapper im Rhythmus der Musik zu waghalsigen Figuren. Umstehende applaudieren den Tänzern begeistert in dieser grünen Lunge der Industriestadt. „Stray Cats“ nennt sich die Gruppe, die für ein großes Ereignis trainiert: Die Jugendlichen treten im Rahmenprogramm der Fußball-Europameisterschaft auf. Donezk ist einer der vier Austragungsorte in der früheren Sowjetrepublik und hofft auch auf deutsche EM-Touristen.
Großstadtoasen wie den Puschkin-Boulevard gibt es viele in der mit rund 1,1 Millionen Einwohnern fünftgrößten Stadt der Ukraine. Über einen See führt ein Steg zum Scherbakow-Park, der im Juni als Fan-Zone dienen soll. Einst war der See eine riesige Grube des Bergbaus, eine klaffende Wunde im Stadtzentrum. Mit der Flutung entstand ein Naherholungsgebiet, in dem heute Inlineskater flitzen und junge Paare den Kinderwagen in den Schatten der Birken schieben. Bereits in den 1960er Jahren - noch zu Sowjetzeiten - zeichnete die Unesco Donezk als ökologischste Industriestadt ihrer Größe aus.
Die Metropole im rauen Donbass-Becken an der Grenze zu Russland wurde nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Reißbrett entworfen. Eine klassische Altstadt fehlt daher. „Unser Vorbild ist Bochum“, sagt Natalia Burdejna vom örtlichen Tourismusverband. Mit der Stadt im Ruhrgebiet verbindet Donezk seit 1987 eine Partnerschaft. „Von unserem Partner können wir viel lernen in Sachen Stadtentwicklung“, meint Burdejna. Bochum sei einst die zechenreichste Stadt Europas gewesen und wandele sich zur modernen Metropole. „Auch wir müssen unseren Bewohnern etwas bieten, sonst wandern sie ab nach Kiew oder ins Ausland“, sagt Burdejna.
„Leider ist die Luft hier oft nicht gut“, gibt Burdejna zu. Tatsächlich bieten die qualmenden Hüttenbetriebe und Kraftwerke weit außerhalb der Stadt ein Panorama wie einst Dortmund oder Duisburg. Zwar sollen die meisten Schlote über moderne Filteranlagen verfügen. Dennoch sollen einige Werke während der EM abgeschaltet werden, um die Luft zu verbessern.
Der Mann mit der Kohle heißt in Donezk Rinat Achmetow. Der 45-jährige steinreiche Unternehmer hat sich für rund 280 Millionen Euro in seiner Heimatstadt quasi selbst ein Denkmal gesetzt. Weithin strahlt im Zentrum eines der modernsten Fußballstadien Osteuropas, die Donbass Arena, seit 2009 Spielstätte von UEFA-Pokal-Sieger Schachtjor. Bei der Eröffnung saß die Politikerin Julia Timoschenko noch als Regierungschefin im Stadion, in diesen Tagen wirft ihre umstrittene Inhaftierung lange Schatten auf die EM.
Vor dem riesigen Lenin-Denkmal in Donezk demonstriert an diesem Tag die Kommunistische Partei. Rote Fahnen wehen über dem Platz, der immer noch nach dem Revolutionsführer benannt ist. Die Gäste in den Cafés blicken aber lieber in ihre Zeitungen oder unterhalten sich über Mode. Im Straßenbild sind viele schick gekleidete Passanten zu sehen. „Die EM-Gäste werden sich wohlfühlen“, meint Konstantin Simtschuk. Der Sportlehrer arbeitet als Fanbeauftragter von Schachtjor.
Für EM-Touristen stehen in Donezk seit kurzem Wegweiser auch mit lateinischen Buchstaben. Organisatorische Probleme räumt Simtschuk aber ein. „Nur wenige Polizisten beherrschen eine Fremdsprache und ahnen kaum, dass Tausende Engländer und Franzosen zu uns kommen.“ Zudem seien die Zimmer in den wenigen Hotels zu teuer. Im Internet werden Privatzimmer für 900 Euro pro Nacht angeboten. „Wir bemühen uns gegenzusteuern“, verspricht Simtschuk. Gleichzeitig bitte er um Verständnis. „Es ist wenig sinnvoll, für die paar Spiele neue Hotels zu bauen. Donezk ist eine Industriestadt - mit einem Touristenansturm rechnen wir in Zukunft nicht.“