Hausbesuch bei einem Dichter - Gerhart Hauptmann in Brandenburg
Erkner (dpa/tmn) - Gerhart Hauptmann war sich lange nicht sicher, ob er Bildhauer oder Schriftsteller werden soll. Die Entscheidung fiel in Erkner. In der märkischen Provinz fing er an zu schreiben. Vor 100 Jahren bekam er den Literaturnobelpreis.
Gerhart Hauptmann ist viel herumgekommen. In Italien war er oft. In Rom wohnte der Literaturnobelpreisträger, der am 15. November vor 150. Jahren geboren wurde, gleich mehrere Monate. Auf Hiddensee verbrachte er zahlreiche Sommerwochen. Aber zum Schriftsteller wurde er in Erkner, einem Nest am östlichen Stadtrand von Berlin. Dort fand Hauptmann Zeit für seine schriftstellerische Arbeit - und Anschauungsmaterial für seine Dramen und Novellen: Mehrfach dienten Menschen, die er in Erkner kennenlernte, als Vorbild für literarische Figuren. Die Villa Lassen, in der Hauptmann mit seiner Familie wohnte, gibt es noch. Sie ist heute ein sehenswertes Museum zu Hauptmanns frühen Jahren.
Die Straße, die an der Villa Lassen vorbeiführt, ist heute nach ihm benannt. Bis Berlin-Mitte sind es mit dem Fahrrad 36 Kilometer, wie ein Wegweiser verrät - Erkner liegt gerade schon in Brandenburg, im Landkreis Oder-Spree. Damals war die gefühlte Entfernung ins Berliner Zentrum noch deutlich größer. Die Landschaft um Erkner erschien als grüne Idylle.
Die Villa Lassen hatte sich ein Handwerker geleistet, dessen Geschäfte gut liefen und der zu Geld gekommen war. Hauptmann wohnte im Erdgeschoss zur Miete, zusammen mit seiner ersten Frau Marie. Oben wohnten zwei weitere Familien und der Vermieter mit seiner Frau. Ein Badezimmer hatten die Hauptmanns nicht - Strom auch nicht. Die Räume der Wohnung sind heute Teil des Museums.
Hauptmann war kein Kind von Traurigkeit und eher der gesellige Typ - auch in den Jahren in Erkner. Besuch war gern gesehen, der junge Autor las dann vor, und es gab Bowle oder Wein. Wer heute im Wohnzimmer der Lassen-Villa steht, kann sich gut vorstellen, wie die Gäste dort um den Tisch saßen.
Die Möbel im Arbeitszimmer sind aus der Zeit, als er später wieder im Westen Berlins wohnte. Auch ein Schreib- und Lesepult gehört dazu, an dem Hauptmann oft gestanden hat. Auf dem Schreibtisch steht eine Goethe-Statuette, die Margarete ihm geschenkt hat - seine zweite Frau. Er lernte sie in Erkner kennen, als sie noch ein Teenager war - und die Ehe mit Marie sich noch jung und glücklich anfühlte.
Zur Literatur fühlte sich Hauptmann schon als Jugendlicher hingezogen - gelesen hat er schon früh und viel. Ein guter Teil seiner Bibliothek befindet sich in Erkner - Hunderte von Büchern sind dort zu sehen: von Platon über Schiller bis Bernard Shaw.
Als Hauptmann 1885 in Erkner ankam, war er noch unentschieden, was beruflich aus ihm werden sollte - Bildhauer schwebte ihm bis dahin vor. Doch dann lief es mit dem Schreiben immer besser: Ein tragischer Unglücksfall, im nahen Flakensee war eine dreiköpfige Familie ertrunken, inspirierte Hauptmann 1887 zu der Novelle „Fasching“. Auch „Bahnwärter Thiel“, eines seiner bekanntesten Werke, entstand schon in der Erkner-Zeit. Genau wie „Vor Sonnenaufgang“, das Drama, das ihn über Nacht berühmt und zu einem der wichtigsten Vertreter des Naturalismus machte.
Hauptmann war ein Vielschreiber, „Kein Tag ohne Zeile“ lautete sein Lebensmotto. In Erkner hat er aber nicht nur viel geschrieben, sondern auch viele Eindrücke gesammelt, von denen er noch viel später profitiert hat. Üblicherweise stand er schon morgens in aller Herrgottsfrühe auf und ging spazieren - und zwar ausgiebig. Bei den Spaziergängen machte er Notizen, hörte hin, wenn sich auf der Straße Wäscherinnen und Fabrikarbeiter unterhielten oder plauderte selbst mit ihnen.
Der Sprache seiner Dramen kam das zugute: Seine Figuren reden oft so, wie Hauptmann es bei seinen Streifzügen gehört hat. Das war ein neuer Sound auf deutschen Bühnen: realistisch - und nicht nach antikem Versmaß.
Informationen:
Gerhart-Hauptmann-Museum, Gerhart-Hauptmann-Straße 1-2, 15537 Erkner, Tel.: 03362/36 63, E-Mail: info@hauptmannmuseum.de