Henry van de Velde in Weimar
Weimar (dpa/tmn) - Henry van de Velde war ein Multitalent. Die 15 Jahre, die der belgische Architekt und Designer in Weimar lebte, gelten als seine produktivsten überhaupt. Zu seinem 150. Geburtstag gibt es dort eine Ausstellung und Führungen auf seinen Spuren.
Als ein vor Ideen sprühender „Alleskünstler“ galt Henry van de Velde schon zu Lebzeiten. Viele seiner besten Einfälle hatte er in Weimar. Am 3. April wäre er 150 Jahre alt geworden. Deshalb ist er dort präsenter denn je - zum Beispiel bei den neuen Führungen. Studenten oder Absolventen der Bauhaus-Universität zeigen, wo er gearbeitet hat.
Start ist im Innenhof des Uni-Hauptgebäudes. Dort steht Robert Verch, der Gestaltung und visuelle Kommunikation studiert hat. „Die Kunstschule in Weimar wurde schon 1860 gegründet, drei Jahre bevor van de Velde in Antwerpen geboren wurde“, erzählt er. Nach Weimar kam das Multitalent, als ihn der junge Großherzog als künstlerischen Berater einstellte. Verch zeigt auf das viergeschossige Gebäude hinter sich, den Prellerbau. „Van de Velde ist 1902 zunächst dort eingezogen.“ Seine Aufgabe bestand darin, den Kunsthandwerkern der Region mit kreativen Ideen auf die Sprünge zu helfen.
Schon bald fiel die Entscheidung, ein neues Gebäude für die Kunstschule zu bauen und das alte umzugestalten - nach Entwürfen van de Veldes. „Der erste Teil ist 1904 fertig geworden. Dort ist heute das Dekanat der Uni untergebracht“, erzählt Verch. Mittelteil und Westflügel kamen bis 1911 hinzu - heute zählt das Ensemble zum Weltkulturerbe. Die Fassade der Kunstschule macht noch immer Eindruck, wirkt aber erstaunlich schlicht. Hier ging es um künstlerisches Arbeiten, nicht um Repräsentation.
Keine Figurengruppen, keine Formspielereien - van de Velde war ein früher Vertreter der Überzeugung „form follows function“. Die Vorderseite hat riesige, gebogene Fenster, die für viel Licht sorgen sollten. Nur die Balkonbrüstung zeigt Ornamente, zurückhaltende geometrische Muster. Deutlich mehr macht die geschwungene Treppe im Foyer her, die van de Velde entworfen hatte.
Eine Ausstellung zu Van de Velde als Architekt präsentiert die Bauhaus-Uni noch bis zum 12. Mai. „Uns geht es darum, das architektonische Gesamtwerk zu zeigen“, sagt Norbert Korrek, der Kurator der Ausstellung. Vor allem seine späten Arbeiten seien wenig bekannt. „Er gilt als Anreger und Wegbereiter der Moderne, aber nach 1914 wird es still um ihn.“ Häuser hat er schon in seiner Zeit in Weimar entworfen, aber erst in seiner Zeit in den Niederlanden nach dem Ersten Weltkrieg sei er zum Architekten gereift.
Sein Wohnhaus „Hohe Pappeln“ an der Belvederer Allee lag in einem Vorort namens Ehringsdorf. „Damals war das weit außerhalb der Stadt“, sagt Thomas Apel bei seiner Führung durch den Garten. „Er hat das Haus, das sein Rückzugsort wurde, selbst entworfen und 1907 gebaut. Es sieht aus wie eine Burg.“
Bis ins letzte Detail hat er es selbst geplant. „Seine Handschrift sollte überall sichtbar sein.“ Van de Velde, seine Frau Maria und die fünf Kinder haben im ersten Stock gewohnt, der allerdings nicht besichtigt werden kann.
Im Erdgeschoss steht noch ein Flügel im Salon, acht Stühle umrunden den Tisch im Speisezimmer. „Die Möbel sind von van de Velde entworfen, aber keine Originale“, erläutert Apel. Wie einfallsreich, kreativ und produktiv der Künstler war, zeigt eindrucksvoll die Ausstellung „Leidenschaft, Funktion und Schönheit“ der Klassik Stiftung im Neuen Museum.
„Design für alle Lebenslagen“ wollte van de Velde schaffen - und das ist ihm auch gelungen, wie die mehr als 700 Ausstellungsstücke zeigen, die oft überraschend modern, aber auch zeitlos schön wirken. Sein Motto war, keine halben Sachen zu machen. Wenn er ein Haus plante, dann gestaltete er auch die Möbel im Kinderzimmer.
Nichts war ihm zu profan: Kerzenständer entwarf er genau wie die Halterung für Teppichstangen, Brieföffner, Milchkännchen, Servierwagen oder Mokkatassen. Für einen Berliner Herrenfriseur hat er sogar die Saloneinrichtung entworfen, den Frisierplatz samt Waschbecken, in Mahagoni-Optik mit viel Messing und grünem Marmor.