Im Zick-Zack über die Teufelsnase - Zugfahren in Ecuador
Quito (dpa/tmn) - „Wer hier Gleise bauen will, muss mit dem Teufel paktieren“, hieß es einst. Trotzdem zuckelt bis heute eine Bahn den Berg Teufelsnase in den ecuadorianischen Anden rauf und runter - im Zick-Zack über eine steile Felswand.
Zweimal lang gepfiffen, dreimal kurz geruckelt, dann setzt sich der Dampfzug langsam in Bewegung. Die grauen Sitze in den zwei Wagen aus hellbraunem Holz sind alle besetzt. Sofort zücken die Passagiere ihre Videokameras und Fotoapparate. Vor ihnen liegt eine kurze, aber dafür umso spektakulärere Fahrt: In einer halben Stunde von 2300 runter auf 1800 Höhenmeter über den sagenumwobenen Berg „Nariz del Diablo“ (Teufelsnase), auf Gleisen, die teilweise parallel übereinander liegen und mit Spitzkehren im Zick-Zack bewältigt werden müssen. Die Strecke von Alausi nach Sibambe mitten in den ecuadorianischen Anden gilt als eine der aufregendsten und schönsten der Welt.
Durch eine enge Gasse, vorbei an Wohnhäusern, Cafés und Geschäften schlängelt sich die Bahn raus aus Alausi, der kleinen unscheinbaren Stadt, die von einer überdimensionalen Statue des heiligen Peters dominiert wird. Die meisten Touristen besuchen Alausi nur, um möglichst schnell mit dem Zug wieder aus der Stadt herauszufahren. „Mit diesem Zug wollte ich schon immer mal fahren“ erzählt ein Tourist aus den USA, der mit Kappe auf dem Kopf am Fenster steht und die Fahrt filmt. „Das ist der Höhepunkt meiner Ecuador-Reise.“
Direkt hinter Alausi öffnet sich ein weites grünes Tal mit Feldern und Kakteen. Bauern leben in kleinen Holzhütten, Kühe, Schweine und Hunde laufen herum. Es riecht nach Eukalyptus. Die Minuten vor der Teufelsnase nutzt der Schaffner, um auf Spanisch und Englisch die Geschichte des Zuges zu erzählen. Im 19. Jahrhundert hatte Präsident Gabriel Moreno entschieden, die Hauptstadt Quito und die heutige Wirtschaftsmetropole Guayaquil an der Pazifikküste erstmals mit Gleisen zu verbinden.
„Vorher gab es fast keine Kommunikation zwischen den beiden Städten“, erzählt der blau uniformierte Schaffner. „Briefe oder Postkarten brauchten Wochen, wenn nicht sogar Monate, bis sie ankamen.“ Die Verbindung wurde „Camino de Pajaros“ (Weg der Vögel) genannt. „Denn eigentlich konnten nur Vögel ihn zurücklegen. Laufen oder Reiten war sehr mühsam.“
Morenos Nachfolger, der noch heute in Ecuador hochverehrte Präsident Eloy Alfaro, erklärte den Eisenbahnbau zur Chefsache. Noch immer wird Alfaro Vater des ecuadorianischen Eisenbahnsystems genannt. Ein US-Ingenieur wurde engagiert, und 1908 konnte erstmals ein Zug von Guayaquil nach Quito fahren.
Auch dieser passierte schon die Teufelsnase - aber der Bau des nur zwölf Kilometer kurzen Teilstücks von Alausi nach Sibambe war bei weitem das komplizierteste der ganzen Strecke. Weite Teile mussten freigesprengt werden. Außerdem wollte zunächst niemand auf der als äußerst gefährlich geltenden Baustelle arbeiten. „Die Regierung hat dann ecuadorianische Ureinwohner verpflichtet, aber die kamen mit den Wetterbedingungen nicht zurecht. Schließlich wurden 4000 Jamaikaner mit großen Versprechungen hergelockt. Die meisten von ihnen starben beim Bau der Strecke.“
Die tragische Geschichte gab dem Berg, den es zu überqueren galt, einen neuen Namen. „Die Amerikaner sagten, man muss mit dem Teufel paktieren, um hier eine Zugstrecke zu bauen. Deswegen nannten sie den Berg Teufelsnase“, erklärt der Schaffner. Früher hieß er in der Sprache der Ureinwohner „Berg, auf dem der Condor lebt“. Aber auch die großen Greifvögel sind dem Eisenbahnbau zum Opfer gefallen. „Heute lebt hier kein einziger mehr.“
Mit zwölf Stundenkilometern ist der in Frankreich gebaute Zug inzwischen auf ein Hochplateau gezuckelt. Im rund 100 Meter tiefer liegenden Tal lässt sich schon die Endstation erkennen, und ab jetzt geht es fast senkrecht bergab. Fahrer, Assistent und der „frenero“, der eigens dafür da ist, die Bremsen zu überwachen, leiten den Diesel-Zug im Zick-Zack über mehrere Spitzkehren. Immer wieder stoppt die Bahn und fährt dann in die andere Richtung auf einem nur wenige Meter darunterliegenden Gleis. Mit weit aufgerissenen Augen schauen die Passagiere in den Abgrund, der direkt unter ihrem Fenster beginnt.
„Hier brauchen wir Fingerspitzengefühl“, erklärt Zugführer Edgar Garces. „Wenn wir die Bahn nicht genau unter Kontrolle haben, fällt sie uns den Berg runter. Dieser Abschnitt ist der schwierigste, den die ecuadorianische Eisenbahn hat. Nicht nur spektakulär, sondern auch sehr, sehr schwer für den Fahrer. Wir haben eine Steigung von bis zu sechs Prozent, viele Kurven, und besonders im Winter ist es immer sehr schwierig, in den Bergen zu fahren.“
Ungefährlich ist die Strecke nicht. Früher saßen die Passagiere zudem ohne Sicherheitsgurte auf dem Dach des Zuges, erzählt Garces. „Von dort haben sie die Landschaft beobachtet, das war viel eleganter als heute. Heute ist es dafür natürlich sicherer.“ 2007 waren zwei auf dem Dach des Zuges sitzende japanische Touristen von einem herunterhängenden Kabel erfasst worden und ums Leben gekommen.
Unten angekommen, lässt er die Passagiere aussteigen und Fotos machen. „Das war unglaublich. Noch viel aufregender, als ich es mir vorgestellt hatte“, sagt der amerikanische Tourist mit der Kappe, bevor er sich wieder seiner Kamera zuwendet. Zugführer Garces schnauft kurz durch und checkt die Bahn, dann geht es den Berg im Zick-Zack über die vielen Spitzkehren wieder hoch. „Seit ein paar Monaten machen wir das jetzt wieder täglich, das ist schon anstrengend. Aber es ist auch einfach schön, dass wieder so viele Menschen nach Ecuador kommen und mitfahren.“