In Uniform zum Geldsegen: Berlins falsche Soldaten
Berlin (dpa) - Sie stellen sich in Uniform neben Touristen und lächeln ins Bild - dazu halten sie die Hand auf. An den historischen Schauplätzen der Hauptstadt verdienen falsche Soldaten an der Vergangenheit - nicht alle Ordnungshüter wollen das akzeptieren.
Männer in US-Soldatenuniform stehen am einstigen Berliner Grenzübergang Checkpoint Charlie. Sie salutieren und schütteln sich die Hände. 25 Jahre nach dem Mauerfall ist dies ein tägliches Bild in der Hauptstadt: Die Männer sind „Grenzdarsteller“ - verkleidete Soldaten als Attraktion für Touristen. Sie stehen am Brandenburger Tor, am Potsdamer Platz oder am Checkpoint Charlie. Für die einen ist es eine Verunglimpfung kulturhistorischer Stätten, für die anderen ein willkommenes Fotomotiv - und für die Darsteller selbst ein blühendes Geschäft.
Dem Bezirksstadtrat Mitte, zuständig für das Brandenburger Tor und den Potsdamer Platz, sind genau diese Künstler seit Jahren ein Dorn im Auge. Denn nach Angaben des Sachgebietsleiters im Bezirksrat Mitte, Thomas Tailor, sind die ehemaligen Grenzstätten sogenannte „Negativbereiche“. Das heißt, an besonders geschichtsträchtigen Orten ist Gewerbe nicht erlaubt und deshalb werden dafür auch keine gewerberechtlichen Genehmigungen vom Bezirk vergeben.
Was in Rom die verkleideten Gladiatoren und in Barcelona die Stierkämpfer, sind in Berlin die Grenzsoldaten. Sie alle verdienen ihr Geld mit der Darstellung der Vergangenheit. Sie lassen sich mit Touristen fotografieren und erhalten dafür ein paar Euro. Zwischen zwei und sechs Euro kosten diese besonderen Souvenirs in Berlin. Das Interesse der Touristen, sich mit den Symbolfiguren des Kalten Krieges und der Berliner Mauer zu fotografieren, ist groß. Fast im Minutentakt wird an guten Tagen der Kameraauslöser gedrückt und die Kasse der Darsteller klingelt - im selben Tempo. Neben den Fotos gibt es auch nachgemachte Reise-Visa für den ehemaligen West-Sektor.
Seit 2010 ist dem Bezirksstadtrat Mitte das Problem mit dem unerlaubten Verkauf bekannt, in den letzten eineinhalb Jahren verzeichnete der Bezirk zudem einen deutlichen Anstieg an den Scheinvisa-Verkäufen. Für ein paar Euro bekommen Touristen die Nachbildung einer Aufenthaltsgenehmigung für den ehemaligen Sektor Westberlins mit angeblich originalen Stempel-Aufdrucken. Geprüft wird die Originalität nicht - solche Stempel gibt es im Internet für weniger als 50 Euro auf verschiedenen Verkaufsplattformen.
Der Gewinn, den die Grenzdarsteller mit den Visa-Stempeln machen, liegt indes bei einem Vielfachen und wird vom Bezirksamt pro Tag auf mindestens 3500 Euro geschätzt. Der Bezirksstadtrat beziffert 70 laufende Ermittlungsverfahren seit Juli vergangenen Jahres, darunter 25 Beschlagnahmungen. „Bisher sind uns 20 Personen bekannt, die wir regelmäßig am Potsdamer und Pariser Platz entdecken und deren Uniformen und Produkte wir einziehen“, berichtet Tailor.
Bisher blieb dieses Vorgehen jedoch wirkungslos. Denn „trotz der Beschlagnahmung stehen dieselben Personen am nächsten Tag wieder vor Ort und versuchen, Geld zu machen. Daran lassen sich organisierte Strukturen ablesen“, erklärt er weiter. Es gäbe bereits innerhalb Berlins Reviere, die von Gruppen aufgeteilt und eingenommen werden. Es kam laut Tailor schon zu Handgreiflichkeiten, als eine Partei in den Bereich der anderen eindrang. Die Verkäufer haben laut Bezirksamt einen unterschiedlichen sozialen Hintergrund, Berliner stehen dort ebenso wie zugereiste Osteuropäer, Studenten ebenso wie Arbeitslose.
Anders als am Potsdamer und Pariser Platz ist am Checkpoint Charlie der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zuständig. Der geht bisher nicht gegen die Grenzdarsteller vor. Was in Mitte im Geheimen abläuft, geschieht am Checkpoint Charlie ganz offensiv: Der Verkauf von Scheinvisa. An einem Tisch mit großem Aufsteller erhalten Touristen ein Dokument in A5-Größe mit der Aufschrift „Anlage zum Westberliner Personalausweis“ und je nach Geldbeutel sechs Stempel für fünf Euro oder 15 für zehn Euro auf das Papier. Neben den Visa könne sich auch hier Touristen mit den vermeintlichen Grenzsoldaten fotografieren lassen. Zwei Männer in US-Soldatenuniform stehen hier regelmäßig - einer macht die Fotos, mit dem anderen posieren die Touristen.
Die Behörde tut sich schwer, die Tätigkeit der Grenzdarsteller als gewerblich einzuordnen. Für den Leiter des Bezirksordnungsamtes Friedrichshain-Kreuzberg, Joachim Wenz, gibt es derzeit keine Gründe, gegen die falschen Grenzsoldaten am Checkpoint Charlie vorzugehen. Es gebe auch bisher keine Beschwerden gegen die Darsteller. Sie werden vom Bezirk geduldet, da sie keine gewerbliche Dienstleistung anböten. „Wenn etwas Rechtswidriges geschieht, dann werden wir auch handeln“, versichert Wenz. Laut Ordnungsamt fordern die Soldaten für das Fotografieren aber keinen bestimmten Geldbetrag. Die Touristen können ihnen eine Spende geben, das sei freiwillig.
Inwiefern eine Freiwilligkeit herrscht, erscheint allerdings als fraglich. Preisschilder am Gürtel der Soldaten beziffern den Wert eines Fotos: „zwei Euro oder drei US-Dollar pro Person“. Und Szenen wie diese sind normal: Eine Gruppe von fünf Jugendlichen möchte sich mit einem der Soldaten vor der Rückseite des Kontrollhäuschens fotografieren lassen. Jeder zahlte zwei Euro. Ein Sechster springt mit ins Bild - und wird von den Soldaten verscheucht. Er hat nicht gezahlt und darf nicht mit aufs Bild.
Bei einer Reisegruppe etwa nehmen die Soldaten in kurzer Zeit einen hohen Geldbetrag ein. Innerhalb weniger Minuten verdienen sie problemlos mehr als 50 Euro. Und das wird nicht der einzige Gewinn des Tages sein. Denn viele wollen ihr persönliches Erinnerungsstück mit den Überbleibseln des Kalten Krieges. Sie stellen sich zu den US-Soldaten, schütteln die dargebotene Hand und salutieren zusammen. Der Auslöser der Kamera klickt, Euro oder Dollar wechseln den Besitzer.