Italien: Der köstliche Gang nach Canossa
Verwitterte Burgruinen halten die bewegte Geschichte der Emilia Romagna lebendig. Doch die Region ist vor allem ein Schlemmerziel.
Düsseldorf. Sturm peitscht über die Burg. Wer es den Berg hinauf geschafft hat, flüchtet in die kleine Kirche. Die dicken grauen Mauern scheinen wie aus dem Felsen gewachsen - eine zusätzliche Verteidigung. Die glatten Felswände waren kaum zu erklimmen. In der Kirche ist es still und dunkel, das einzige Licht dringt durch die einen Spalt breit geöffnete schwere Holztür. Der Wind heult durch das Mauerwerk.
Die Augen gewöhnen sich nur langsam an die Dunkelheit, ein unheimlicher Ort. Plötzlich streift ein kalter Hauch den Nacken - Mathildes Geist? In der Phantasie spielen sich Szenen aus längst vergangener Zeit ab. Mit wallendem Umhang über ihren Gewändern schreitet sie eilig zum Altar, kniet nieder. Ihre langen Haare fallen ihr ins Gesicht. Sie wartet auf ihn, um mit ihm gemeinsam zu beten. Papst Gregor VII., enger Vertrauter und Gast auf ihrer Festung: der Burg von Carpineti.
Gräfin Mathilde von Canossa, eine Schlüsselfigur der Geschichte zwischen Kaiser Heinrich IV., der im Jahr 1077 den berühmten Büßergang nach Canossa unternahm, und dem Papst, ihrem engen Vertrauten. Wochenlang bleibt Papst Gregor VII. bei ihr, Mathilde wird zur Vermittlerin zwischen geistiger und weltlicher Macht, ihre Burgen dienen dem Schutz des Papstes.
Dunkelheit legt sich über die Landschaft, weit erstreckt sich unterhalb der Festung der einstige Besitz der mächtigen Kämpferin Mathilde. Grüne Hügel, winzige Orte und auf den Bergen ringsum weitere Burgen. Hier ist die Geschichte lebendig, spürbar. Es geht hinauf in den Wehrturm.
Heute führen Holztreppen auf das Dach, zu Mathildes Zeiten gab es nur Leitern. Schmale Öffnungen für die Bogenschützen in der Mauer, von der Turmspitze ein unverstellter Rundumblick. Leuchtet da nicht ein Feuer durch den Abend? Schwenkt nicht jemand riesige Fackeln, um Mathilde zu warnen, dass Angreifer unterwegs zu ihr sind? Die Burgen in allen Himmelsrichtungen dienten als Frühwarnsystem. Doch hier ist sie sicher, ebenso der Papst. Der doppelte Befestigungsgürtel hält auch diesmal den kaiserlichen Truppen Stand.
Wer die Emilia Romagna kennenlernen will, kann sie am besten erwandern. Das Hinterland von Canossa mit seinen Bergen, Flüssen und den zahlreichen Burgruinen erzählt dem Besucher vieles: vor allem über Mathilde. Wanderwege, Straßen, Plätze, Weine - kaum etwas, das nicht nach der selbstbewussten adeligen Frau benannt ist. Ihre Signatur prangt auf Etiketten von Schinken, Käse oder Essig.
Jedes Jahr finden ihr zu Ehren festliche Umzüge und historische Schauspiele statt. Doch Mathilde muss sich die Berühmtheit der Emilia Romagna teilen - mit all den Köstlichkeiten der Region. Bologna, Modena, Parma und Reggio Emilia sind bekannt für ihre besonderen Genüsse. Hier wird der Nudelteig für Tortelli und Tortelloni noch selbst zubereitet, die Spinat-Ricotta-Füllung mit reichlich Parmesan per Hand geknetet.
Und für das köstliche Extra oben drauf, geht es erst einmal mit Gummistiefeln in den Wald - Trüffel suchen. Am frühen Morgen um 7 Uhr geht es los. Nebelschwaden wabern durch die hügelige Landschaft. Irgendwo ganz weit hinten ist die Ruine der Burg von Canossa zu erkennen und man stellt sich unwillkürlich die Frage, ob Mathilde wohl damals auch Trüffel gesucht hat.
Doch jetzt spielt Lea die Hauptrolle. Sie hat die Nase so tief auf dem Boden, dass manchmal Blätter darauf kleben bleiben. Es regnet leicht, von den Herbststürmen ist hier im Wald jedoch nicht viel zu spüren. Nur das Rauschen der Blätter hoch oben in den Baumkronen klingt beinahe gespenstisch.
Immer tiefer führt Lea ihren Tartufaio, Herrchen und Trüffelsucher, in den Wald. Wieselflink rennt die zwei Jahre alte Jagdhündin die Hänge im Zickzack-Parcours hinauf, der 76-jährige Medardo Santi muss sich beeilen. Denn sobald Lea anfängt zu graben, muss der Tartufaio ihr die Arbeit abnehmen und den kostbaren Pilz vorsichtig mit einer kleinen Spezialhacke freilegen. Ansonsten verschwindet der leckere Trüffel zwischen den Zähnen des Hundes - ein besseres Leckerchen für den Fund könnte es schließlich kaum geben.
Im Oktober haben noch die schwarzen Trüffel Saison, für jeden gefundenen bekommt Lea ein Stückchen Brot. Von Anfang November bis Ende Februar sind dann auch die weißen, noch edleren Trüffel reif und Medardo belohnt seine Hündin mit Wurst. "Das schafft einen höheren Anreiz und lässt den Hund den Unterschied schmecken", sagt der Trüffelsucher. Seit 30 Jahren ist er schon in den Wäldern der Reggio Emilia unterwegs.
"Am häufigsten findet man Trüffel unter Pappeln und Haselnussbäumen", weiß er und zeigt auf Lea, die schon wieder Laub und Erde hinter sich schleudert. Die Stelle ihres Interesses liegt mitten am Hang, der Boden ist glitschig. Wie zuvor der Hund, geht es für die kleine Gruppe Trüffelsucher auf allen Vieren hinauf. "Der ist ein echtes Prachtexemplar", zeigt Medardo erfreut auf den mit Erde beschmutzten Trüffel - und hält Lea ein besonders großes Brotstück unter die Nase.
Nach knapp drei Stunden hat der Tartufaio sieben Trüffel in seiner Jackentasche. Genug für diesen Tag. Mit ihnen klappert er später die umliegenden Restaurants ab. Und die preisen nur Minuten später mit Kreide auf ihre Tafel das Tagesgericht mit frischen Trüffeln an. Nur eine der vielen Köstlichkeiten, für die sich eine Reise in die Emilia Romagna lohnt.