Langlauf nördlich des Polarkreises: Winter in Nordnorwegen
Tromsø (dpa/tmn) - Im Winter herrscht an Europas nördlichstem Zipfel fast vollständige Dunkelheit. Wo sich im Sommer die Touristen tummeln, herrscht Einsamkeit. Perfekte Bedingungen für Touren per Schlitten oder auf Skiern durch die Wildnis.
„Das alles ist mein Büro“, sagt Roar Nyheim. Dabei deutet er mit seinen Händen auf die nordnorwegische Landschaft, die von schneebedeckten Bergen, zugefrorenen Seen und kleinwüchsiger Tundravegetation geprägt ist. Nyheim gehört zur Minderheit der Samen und ist Rentierhirte. Erst vor fünf Jahren hatte er beschlossen, seine Arbeit in einer Fabrik aufzugeben und die Tradition seiner Vorfahren fortzusetzen. „Es war wie ein Befreiungsschlag. Nun bin ich mit ganzem Herzen bei meiner Familie und unseren Rentieren“, sagt der 35-Jährige. Da im langen Winter weniger Arbeit anfällt, begleitet er dann Touristen bei Touren in die Wildnis.
Gabba (das Weiße), Sietnja (die helle Nase) und vier weitere Rentiere gehören zu seiner Schlittenmannschaft, die Touristen einen Eindruck von der menschenleeren Wunderwelt der nördlichen Tundra vermittelt. Die zweistündige Schlittentour wird auch ohne gleißendes Licht zu einer Genussfahrt.
Am Ziel warten schon 54 Hunde auf ein Abenteuer der etwas schnelleren Art. Die bereits eingebrochene Dunkelheit tut dem Bewegungsdrang der Huskymischlinge keinen Abbruch. Im Vierergespann jagen sie durch den im Licht der Stirnlampen glitzernden Neuschnee.
Nach dem Abendessen in einem Lavvu, einem samischen Zelt, geht es wieder ruhiger zu. Die Gäste schrauben ihre Kameras auf Stative und warten auf die Nordlichter, die auch nicht lange auf sich warten lassen. Hier, inmitten der Dunkelheit der Tundra, weitab von jeglicher Lichtverunreinigung, sieht man den Himmel völlig anders als gewohnt.
Die Kuppel des Himmelszelts ist voller heller Sterne, im Fünfminutentakt ziehen Sternschnuppen in Richtung Erde, und oberhalb des Horizonts im Norden tanzen die grünen Polarlichter - mal als Wolke, mal als Vorhang über den Bergketten. Grazil und beeindruckender als jedes Feuerwerk. In warmen Overalls und dicken Stiefeln eingepackt verharren einige Gäste bis in die frühen Morgenstunden um Freien.
Der im 100 Kilometer entfernten Tromsø lebende Öystein Storslett hat sein eigenes Rezept gegen jeden Anflug von Tristesse in der dunklen Jahreszeit. „Du musst dich viel in freier Natur bewegen, dann bleiben Geist und Körper frisch“, sagt er. Da die Umgebung von Tromsø ein Paradies für Skifreunde ist, bietet er traditionelle Bergskitouren an.
Die Bretter sind etwas breiter als Langlaufskier, und man klebt ein künstliches Fell auf die Laufsohle, um steile Anstiege ohne Rückrutscheffekt meistern zu können. „Schon als Schüler haben wir uns mit Freunden - und auch den ersten Freundinnen - eher zu einer Wochenendbergtour verabredet, als uns im Café zu treffen“, erinnert er sich. „Hier draußen bleibt man nicht an der Oberfläche hängen, hier zeigt sich der Charakter des Menschen.“
Es scheint ein besonderer Schlag von Menschen zu sein, den es immer wieder in den hohen Norden Europas zieht - gerade in der Zeit der Dunkelheit. Früher waren es die Robben-, Eisbären- und Polarfuchsjäger, die von hier aus in die Jagdgründe der Arktis vorstießen. Es folgten Polarforscher, wie Fridtjof Nansen und Roald Amundsen, auf Entdeckungsfahrten durch die Nord-Ost- und Nord-West-Passage sowie zu den Polen. Heute sind es Abenteurer und Aktivtouristen.