Nomaden-Festival in Marokko: Wüstenleben bei einer Tasse Tee
Tan-Tan (dpa/tmn) - Abdallah sitzt seit Tagesanbruch im Wüstenzelt und trinkt Tee. Der Wind presst unablässig gegen das Beduinen-Zelt, ein Schutzschild in der weiten, unwirtlichen Sahara.
Abdallah ist mit seiner Kamel-Karawane vom Atlas-Gebirge her nach Tan-Tan gekommen. Er handelt mit den Tieren und will in der Wüstenstadt hier im Süden Marokkos Geschäfte machen. Zwei bis drei von ihnen schlägt sein Nomaden-Stamm in der Woche los, erzählt Abdallah. Für ein kleines Kamel zahlen ihm Händler bis zu 800 Euro.
Abdallah rückt seine Djellaba zurecht, sein Gewand. Er nimmt einen weiteren Schluck süßen Tee. „Wer die Nomaden und ihre Angelegenheiten verstehen will, der muss sich Zeit für einen Tee nehmen.“
Einmal im Jahr gibt es in Tan-Tan ein besonderes Schauspiel: In einer riesigen Zeltstadt kommen die Nomaden-Stämme der Sahara zum Moussem-Festival zusammen. Sie stammen aus Marokko, Algerien, Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger und aus Saudi Arabien. Westlich von Tan-Tan schimmern aus der Ferne die rund 800 braunen Nomaden-Zelte. Die Unesco unterstützt das Moussem-Festival, weil sie helfen will, die bedrohte Kultur der Wüstennomaden zu bewahren.
Auf dem riesigen Platz in der Mitte des Wüstencamps reiten Berber auf Pferden. In einer geschlossenen Reihe von zehn Reitern nehmen sie Tempo auf und brüllen ihr Kriegsgebrüll. Dann feuern sie mit ohrenbetäubenden Salven ihre Gewehre in Richtung Boden ab. „Fantasia“ wird diese monumentale Reiterchoreographie genannt, sie stellt die Technik der Berberkriegsführung nach.
Das Moussem-Festival findet am Fuße des Grabes von Scheich Mohamed Laghdaf statt - ein Wüstenheld, der bis zu seinem Tod 1960 für die Unabhängigkeit Marokkos von Frankreich und Spanien kämpfte. Die Nomaden verehren den Scheich, weil er für die Freiheit kämpfte.
Tan-Tan entwickelte sich in den folgenden Jahren zu einer religiösen Stätte. Zu Ehren des Scheichs kamen Nomaden an seinem Grab zusammen, um zu singen, zu spielen, um sich Geschichten zu erzählen und Kamele zu handeln. Der „Grüne Marsch“, der 1975 in die Geschichte einging, beendete das Moussem-Fest schlagartig: 350 000 Menschen überquerten von Tan-Tan aus die nahe Grenze zur West-Sahara, um die Rückgabe des Landes von den Spaniern zu erzwingen. Die Spanier sind fort, doch der West-Sahara-Konflikt ist bis heute ungelöst, die Grenze umstritten.
Erst 2004 wurde in Tan-Tan das Moussem mit Unterstützung der Unesco als Festival wiederbelebt. „Das Moussem von heute ist vor allem eine inszenierte Veranstaltung des Königs. Hier wird Kultur zu Folklore gemacht“, sagt Ibrahim, 29, aus Tan-Tan. Sätze wie diese hört man oft auf dem Festival. Ibrahim ist einer der jungen chronisch arbeitslosen Akademiker in Marokko. Nun versucht er es mit dem Verkauf von Messern.
„Das Moussem ist wie ein schmackhaftes Essen, das seinen Duft verströmt, von dem das Volk aber nicht kosten darf“, sagt Ibrahim. Ein Kulturangebot für die 60 000 Einwohner gibt es praktisch nicht: keine Bibliothek, kein Theater, kein Kino.
Abdallah, der Kamelhändler, sitzt im Schneidersitz vor einem Silbertablett. „Gemeinsames Teetrinken ist die Seele der marokkanischen Kultur und der Nomaden“, erklärt er. Eine Teekanne klimpert auf dem Tablett, ein Strahl Teewasser schießt aus der Kanne hinunter in die Gläser. Dann kippt Abdallah den Tee langsam zurück in die Kanne, bevor wieder Wasser hinabgeht - langsamer diesmal. Diese Handlung wiederholt sich einige Male. Wie oft, weiß nur Abdallah. Er ist der Hüter des Tees.
Die Würze für eine gute Teezeremonie kommt allerdings woanders her. Abdallah spricht von den drei „G“: gute Gespräche, eine lodernde Glut und die Geschichten, die Poesie. „Manche Stämme führten 40 Jahre lang Krieg. Bei einer Tasse Tee schlossen sie schließlich Frieden.“
Das Zelt füllt sich mit weiteren Männern, jeder empfängt jeden. Niemand betritt ein Zelt und wirft einen Gruß nur ziellos in die Runde. Das wäre unhöflich. Jeder Mann verschenkt und erhält ein freundliches Wort. Die Stimmen klingen sanft, heiter, beschwingt. Irgendwann sitzen alle im Schneidersitz um das Silbertablett herum, warten geduldig, bis Tee in das letzte Glas rinnt.
Abdallah wünscht sich mehr junge Menschen als Nomaden. Doch er weiß, dazu müssten viele Probleme gelöst werden: Weidegründe, Zugang zu Wasser, Bildung. Eigentlich einfache Dinge.
In der Dämmerung verblassen die Farben der Wüste: das Safranrot, das Dattelbraun, das Couscousgelb. Das Teezelt steht nun verlassen da. Abdallah hockt allein auf der Auslegeware und lauscht dem friedlichen Konzert der Kamele. Beim Weggehen tönt ein letztes, vertrautes Klimpern von Glas auf Silber über die unermessliche Weite der Sahara.