Rio poliert sein Image für Olympia

Führungen durch Rios „Favelas“, die Armenviertel der Stadt, sollen das negative Bild korrigieren. Touristen brauchen keine Angst zu haben — solange sie nicht fotografieren.

Düsseldorf. Sie gehören zu Rio de Janeiro wie der Zuckerhut, die Copacabana und die Christus-Erlöser-Statue hoch oben auf dem Corcovado-Berg: die Favelas. Hunderte dieser Armensiedlungen gibt es in Rio. Sie stehen im Ruf, Horte der Gewalt und Heimat der Drogenbosse zu sein, und das ist auch ein Teil der Wahrheit.

Aber eben nur ein Teil. Wem Klischees nicht reichen, wer mehr erfahren will über Favelas, Rio und vielleicht über Brasilien, der sollte nicht nur Rios Glitzerviertel Ipanema und Leblon besuchen, sondern auch Rocinha, die vermutlich größte Favela Südamerikas.

Samstag, 9 Uhr morgens. Treffpunkt vor dem Fünf-Sterne-Luxus-Hotel „Copacabana Palace“. Das findet jeder Tourist, auch wenn die wenigsten das Geld haben, dort abzusteigen. Der kleine Bus von „Favela-Tours“ braust heran.

„Willkommen in meinem Zuhause“, sagt Carlos, als der Bus zehn Minuten später in Rocinha einfährt. Die Fahrt geht bergauf und durch enge Kurven. Immer wieder rumst das Fahrzeug in tiefe Schlaglöcher. Carlos wurde in Rocinha geboren und wohnt hier immer noch mit seinen Kindern. Der Carioca, wie die Einwohner Rios heißen, lebt gern in Rocinha. „Ich will Mythen zerstören“, sagt der 46-Jährige.

Sei 21 Jahren führt Carlos Touristen durch die Favelas. „In der ganzen Zeit habe ich nur etwa 40 Brasilianer dabei gehabt. Komisch, aber ausländische Touristen wissen vielleicht mehr über Favelas als die Brasilianer.“ Erster Halt: „Estrada da Gávea“. Ein Blick hinunter ins satte dichte Grün, zu den Resten des Atlantischen Regenwalds.

Dahinter schimmert azurblau der Atlantik. Rocinha ist berühmt für seinen atemberaubenden Ausblick, immerhin. „Keine Leute fotografieren“, ist eine der wenigen Regeln auf der Tour. „Amigos dos Amigos“ heißt die Drogengang, die in Rocinha das Sagen hat, und die Freunde schätzen es nicht, abgelichtet zu werden.

Die meisten Favelas liegen im Norden und Westen Rios und nicht wie Rocinha im Süden. Die Einwohnerzahl der „kleinen Farm“, wie Rocinha übersetzt heißt, ist ungewiss. Offizielle Schätzungen reichen bis 100 000 Menschen, die Bewohner selbst sprechen von 160 000.

Es gibt zahllose Läden, Verkaufsstände, Bars, mehrere Buslinien und sogar drei Banken. „Die einzigen Banken, die nicht überfallen werden“, scherzt Carlos. „Rocinha. Bem vindo“ steht auf einem Schild, willkommen in Rocinha. Die Favela ist ein schmutziges Meer aus Häusern, wie erkaltete Lavaströme kleben sie am Berghang. Überall braune, unverputzte Backsteinmauern.

Ein Labyrinth aus Treppen, Gassen und Schleichwegen. Jeder Fremde wäre verloren, nur Einheimische kennen sich aus. Je höher man wohnt, desto schöner die Aussicht, aber umso beschwerlicher das Leben. Denn das meiste muss zu Fuß hochgeschleppt werden. Wohnungen unten am Berg sind begehrt.

250 Reais, etwa 110 Euro, kostet eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung im Monat. Der Abfall wird dreimal am Tag an Sammelstellen abgeholt. Auch die Post wird zugestellt. Dafür gibt es an bestimmten Häusern nummerierte Briefkästen, in die auch die Post für die Nachbarn eingeworfen wird. Früher waren alle Häuser aus Holz. Steinbauten lohnten nicht, dachten sich die Bewohner, denn regelmäßig kamen Sondertrupps, um die Ghettos niederzureißen. Erst Mitte der 80er Jahre gab es Bestandssicherung, die Bewohner fingen an zu mauern.

In der Vorzeige-Favela Dona Marta drehte Michael Jackson 1996 das Video zum Welthit „They don’t care about us“. In Dona Marta sorgt eine fest installierte Polizeiwache für Sicherheit. Die Präsenz der Staatsmacht soll auf andere Brennpunkte ausgeweitet, das Territorium der Gangs eingeengt werden. Die Welt soll sehen, dass Rio, Ausrichter der Olympischen Spiele 2016, sicher ist. Beschaulich geht es in der kleinen Favela Canoas ganz in der Nähe zu, wo die dreistündige Tour endet. Noch einmal geht es auf Tuchfühlung, hinab über Stufen in die Katakomben der Favela.

Etwa 80 Zentimeter enge Gänge führen durch das Labyrinth. Kein Sonnenstrahl dringt hier durch. Alles ist dicht an dicht. Die Tour klingt aus in einer Stehkneipe. Dann geht es zurück in die „Cidade Maravilhosa“, die „Wunderbare Stadt“ — Rio.

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