Skitourenboom: Volle Pisten und verschreckte Raufußhühner
München (dpa) - Die einen gehen hinauf, die anderen rasen hinunter. Wenn sie sich treffen, gibt es Probleme. Tourengeher und Skifahrer passen nicht zusammen. Jeden Winter neu suchen Seilbahnen, Gemeinden und Alpenverein dennoch einen gemeinsamen Weg.
Skifahren, das eint sie alle. Auf der Piste kreuzen sich allerdings die Wege von Tourengehern und Skifahrern - und das sorgt immer wieder für Streit. Gerichte mussten sich damit beschäftigen. Seilbahnbetreiber, Gemeinden und Deutscher Alpenverein (DAV) arbeiten Winter für Winter an Lösungen. Inzwischen gibt es etwa in 30 von 50 bayerischen Skigebieten eigene Aufstiegsspuren.
Skitourengehen boomt. Morgens vor der Arbeit noch im Dunkeln sind die ersten unterwegs, mittags bei schönem Wetter herrscht auf beliebten Gipfeln Hochbetrieb, viele kommen abends nach der Arbeit - und sogar nachts mit Stirnlampe. Skitourengehen auf und abseits der Piste ist fast ein Rund-um-die Uhr-Sport geworden.
Früher sperrten Seilbahnbetreiber ihre Pisten komplett. Tourengeher liefen Sturm. Und marschierten trotzdem bergan. Inzwischen sind die Pistengeher zu bestimmten Zeiten sogar willkommen. Fast überall gibt es Tourenabende, an denen die Pisten offiziell geöffnet sind - und die Hütten für den Einkehrschwung auch.
Mittlerweile ist gerichtlich auch geklärt: Pauschale Pistensperrungen sind nicht erlaubt. Die Natur ist etwa in Bayern gemäß Verfassung für jeden zugänglich. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschied vor einem Jahr aber auch, dass bei konkreter Gefahr Hänge gesperrt werden dürfen - wenn Lawinen gesprengt werden oder die Pistenraupe fährt.
Der DAV sorgt sich auch um die Natur. Mancher Skifahrer zieht auf der Suche nach einem Rest unberührten Schnees zwischen jungen Bäumchen seine Schwünge. Die scharfen Kanten können die Pflanzen verletzen. Das größte Problem gibt es mit den Raufußhühnern. Bergführer Manfred Oehmischen, der das bei Münchnern beliebte Mangfallgebirge betreut, sagt, teils seien die Tiere zu 80 Prozent verschwunden.
Der DAV hat mit Gemeinden, Waldbesitzern und Förstern rund 500 naturverträgliche Routen entwickelt. Schilder warnen vor sensiblen Bereichen. Teils klappe das gut, sagt DAV-Mann Manfred Scheuermann. Doch oft führen Ski- oder Schneeschuhspuren direkt an einem Stopp-Schild vorbei. „Wir haben Bereiche, in denen sich viele leider noch nicht an unsere Routenvorschläge halten“, sagt Scheuermann. „Da wird einfach flächendeckend alles befahren.“
Einsamkeit auf Skitour - Fehlanzeige. Vor 20 Jahren gab es in Deutschland 80 000 Anhänger des Sports. „Mittlerweile gehen wir von 300 000 Tourengehern allein im süddeutschen Raum aus“, sagt Scheuermann. Dazu kommen 150 000 Schneeschuhgeher. An schönen Tagen bilden sich nicht nur lange Schlangen an den Liften - auch nebendran ziehen Karawanen aufwärts. Gerade wenn - was angesichts des Klimawandels immer öfter geschieht - der Schnee ausbleibt, weichen Tourengeher auf Pisten aus. Plötzlich ist die künstliche Beschneiung, die viele von ihnen ablehnen, doch ganz willkommen.
Der DAV, mit einer Million Mitgliedern und als Sport- und Umweltverband manchmal in einer schwierigen Doppelrolle, lehnt Schneekanonen nicht komplett ab. Über eine großangelegte Aufrüstung gehen die Meinungen auseinander. Seilbahnbetreiber und DAV legten Studien vor, die zu gegenteiligen Schlüssen kommen. Der Verband Deutscher Seilbahnen sagt unter Berufung auf eine Untersuchung, die nächsten 20 Jahre seien trotz Klimawandels mit Hilfe von Kunstschnee gesichert. Laut DAV-Studie sind hingegen in 20 Jahren mindestens 50 Prozent der bayerischen Skigebiete nicht mehr schneesicher.
Den Wettbewerb mit Österreich - „den werden die bayerischen Skigebiete nicht gewinnen können“, sagt Hanspeter Mair vom DAV. Es gehe um neue Konzepte. Die Vorschläge: Bei Schneemangel zu Fuß auf den Berg. Winter-, Fackel- oder Mondscheinwanderung, und das Naturerlebnis „Schneekristalle beobachten - wer kennt denn das noch“, sagt Mair. Und: „Im Nebel zu gehen ist durchaus ein Erlebnis.“