Kreuzfahrten gibt es derzeit mit organisierten Ausflügen in Spanien oder Griechenland. Funktioniert das? Ein Selbstversuch So leicht geht’s nicht an Bord
Es ist am vorletzten Tag der einwöchigen Kreuzfahrt zwischen den Kanarischen Inseln, als die Kulisse von ziemlich unbeschwertem Urlaub inmitten der Pandemie doch noch einen kleinen Riss bekommt. Unterwegs auf Teneriffa: Organisierter Landgang mit Fiebermessen, Maske und in Kleingruppe.
Weiße Örtchen, vorzügliche Tapas und eine schmale Serpentinenstrecke ins Bergdorf Masca an der Nordwestküste stehen auf dem Programm. Wo sich in früheren Jahren Reisebusse und Mietwagen in endloser Kolonne an den Ausweichstellen gegenseitig blockierten, herrscht heute kaum Gegenverkehr. Teneriffa ist weitgehend leer. In Deutschland gilt die Insel zum Zeitpunkt der Reise noch als Risikogebiet.
Beim Mittagessen hat der Veranstalter Tui Cruises aus gutem Grund keinen Kaffee inkludiert. Als auf dem Rückweg zum Schiff nach dem selbst bestellten Cafe solo die Blase drückt, kommt Ausflugsguide José ganz schön ins Schwitzen. Jeder Kontakt mit Einheimischen ist für die deutschen Schiffsurlauber eigentlich tabu – und öffentliche Toiletten ebenfalls. Das soll verhindern, dass irgendwer der festen Gruppe sich das Virus einfängt.
Tui Cruises verlangt
zwei Tests vor der Reise
Begonnen hat die Reise drei Tage vor Abflug im Hinterhof eines Helios-Klinikums. Schilder weisen den Weg zum PCR-Test für Kreuzfahrtpassagiere. Tui, Aida, Hapag-Lloyd und Nicko Cruises haben einen Vertrag mit dem Klinikkonzern. 50 Reisewillige warten an diesem Nachmittag auf ihre Testung. Ein braun gebrannter Senior mit Goldkettchen war Ostern schon auf Mallorca und will jetzt aufs Schiff. Eine sechsköpfige Familie samt Oma im Rollstuhl ist gekommen und auch ein junges Gastronomen-Pärchen aus dem Bergischen Land. „Wir haben Berufsverbot. Da können wir auch wegfahren“, sagt er. Der Preis von 800 Euro für die Woche auf See sei unschlagbar.
Dafür muss man Formulare ausfüllen: Das Schiffsmanifest, einen Online-Checkin, Gesundheitsdaten für die spanischen Behörden. Es ist wie zu Zeiten des Kalten Krieges bei einer Reise in die UdSSR. Aber die voll besetzte Chartermaschine nimmt von Düsseldorf dann doch planmäßig Kurs auf die Kanaren. Im Flughafen von Las Palmas herrscht Grabesstille. Nur 1000 deutsche Kreuzfahrturlauber landen hier heute neben wenigen spanischen Reisenden. Lange Kontrollen gibt es nicht. Kaum zwei Stunden später betreten die Reisenden nach einem Infrarot-Scan zur Fiebermessung die „Mein Schiff 2“. „Sehnsucht“ ist auf den Bug gepinselt. „Willkommen zuhause“ steht über der Gangway.
Wassergymnastik
und Joggen
Es ist ein Zuhause wie aus einer verloren geglaubten Welt. Schon frühmorgens wippen am nächsten Tag 14 deutsche Rentner bei der Wassergymnastik mit bunten Auftriebshilfen im großen Pool. Auf Deck 14 drehen zumeist jüngere Jogger ihre Runden auf der 480 Meter langen Laufstrecke. Im Restaurant „Atlantik“ servieren Kellner wenig später Spiegeleier, Pancakes und Orangensaft am Platz. Ein Shopping-Bummel über den „Neuen Wall“ oder ein Friseurbesuch ohne Schnelltest, ein Kochkurs oder eine Malstunde sind anschließend auch kein Problem.
Nur in der Bord-App muss man sich anmelden, denn die Plätze sind jeweils begrenzt. An den Pools gibt es Eis und Cocktails. Sogar ein Besuch in der „Schaubühne“ und dem zweistöckigen Bordtheater ist möglich. Dort genießen am ersten Abend die Opernsänger Roman Grübner und Andreas Schmidt den Kontakt zum Live-Publikum. Vor der Pandemie war das Duo mit seinem Udo-Jürgens-Programm Dauergast im Hamburger Schmidt Theater an der Reeperbahn. „Wir danken Ihnen allen, dass Sie da sind“, sagt Schmidt in der Frauenrolle der fiktiven Bühnendiva „Tante Woo“. Ein Gänsehautmoment.
Hinter den Kulissen geht es nüchterner zu. „Es ist herausfordernd“, sagt General Manager René Peters über das aktuelle Geschäft. 20 Jahre ist der 66 Jahre alte Südafrikaner auf Kreuzfahrtschiffen unterwegs. Aber so viel zu beachten war noch nie. Jeder muss morgens zum kontaktlosen Fiebermessen. In den Restaurants gibt es eigenes Personal, das die Gäste freundlich aber bestimmt zum Händewaschen auffordert. Und wenn jemand seine Maske vergisst, taucht Minuten später wie aus dem Nichts ein Mitarbeiter auf, der daran erinnert.
Keine Kompromisse
an Bord möglich
Alle öffentlichen Bereiche sind videoüberwacht. Kompromisse gebe es nicht, sagt Peters. Gäste, die per Taxi zum Hafen fuhren, um schneller an Bord zu kommen, sahen das Schiff vom Kai aus ablegen. Zu groß ist die Sorge vor eingeschleppten Infektionen. „My way or gangway“ wird an Bord als Credo des sonst so aufgeräumten Kapitäns Simon Böttger kolportiert.
Unten auf Deck 2 ist das Reich von Wolfgang Richard Stremmel. Der Notfallmediziner leitet seit Mitte Januar das Bordhospital. Eine gut gefüllte Schiffsapotheke, ein Labor mit PCR-Sequenzierer, zwei Krankenzimmer, dazu zwei Intensivbetten mit Beatmungsgerät und ein OP gehören dazu. Falls doch etwas passiert, ist vorgesorgt. In dieser Woche bleiben die Betten leer. Für Müßiggang bleibt Stremmel und seinem Team trotzdem wenig Zeit. Jeden Dienstag testen sie in der Sporthalle die 750 Mitarbeiter, jeden Mittwoch bis zu 1400 Gäste. „Wir sind wie Tübingen auf See“, sagt Stremmel über das Leben an Bord. Dabei ist allen klar, wie dünn das Eis ist, auf dem sie unterwegs sind. „Doch wir haben in der Vergangenheit bewiesen, dass unsere Maßnahmen auch bei den vereinzelten positiven Fällen an Bord greifen“, sagt der Mediziner.
Unter den Gästen kommen keine Sorgen auf. Im Gegenteil: Dutzende verlängern kurzfristig, einige sind schon zum zweiten oder dritten Mal während der Krise auf dem Schiff. „Was soll ich denn zu Hause?“, fragt eine Rentnerin, „hier bin ich sicherer als daheim“. Einige Kinder nutzen an Bord sogar Homeschooling, ohne auf den Pool verzichten zu müssen. Dass aktuell nur drei statt sonst fünf Häfen angelaufen werden, stört niemanden.