Reise-Berichte Sri Lanka: Zum Tee hoch in die Berge

Im Hochland Sri Lankas sorgt der Teestrauch für Arbeit und ein wenig britisches Flair.

Foto: Martin Wein

Sri Lanka ist seit 1948 unabhängig vom britischen Empire. Das sollte wissen, wer mit dem Bummelzug von der Hauptstadt Colombo oder dem Binnenzentrum Kandy in endlosen Kurven und Kehren raufzuckelt nach Nuwara Eliya. Unterwegs durch endloses Grün weichen die Kokospalmenhaine und Reisfelder allmählich Nadelbäumen, Gemüse- und Teefeldern. Auf den Bahnsteigen bieten fliegende Händler durch die offenen Fenster und Waggontüren heiß geröstete Erdnüsse mit Chilipulver an — eingetütet in alte Rechenhefte — oder Samosas, Teigtaschen mit Kartoffeln und Zwiebeln gefüllt.

Foto: Martin Wein

In der 3. Klasse mischen sich für ein paar Stunden Backpacker aus Europa mit Touristen aus China und Indien, mit Landarbeitern und Familien, mit Gepäck und Gerüchen aus mindestens drei Erdteilen. Und dann das: Im Grand Hotel von Nuwara Eliya stellt ein Kellner in weißer Livree wenig später Etageren mit Gurken- und Lachssandwiches, Lammfleisch-Burgern, frischen Scones mit Clotted Cream und winzigen Obsttörtchen auf die weiße Leinentischdecke. Zeit für den Afternoon-Tea in Barnes Hall, klassisch serviert mit Milch und Zucker.

1829 ließ sich Sir Edward Barnes, damals Gouverneur der neuerdings britischen Insel Ceylon, den Landsitz im Turdor-Stil dort oben auf 1860 Metern über dem Meer in die Berge stellen. Seine roten Ziegeldächer, braunen Fachwerkstreben, Erker, Giebel und Scheinkamine wirken wie ein Gutshof in Kent.

Von der Terrasse schweift der Blick über die breite Auffahrt zwischen penibel getrimmtem Windsor-Rasen und Buchsbaumhecken in Form von Elefanten und Dinosauriern. Sogar der Himmel ist bleiern grau wie in England und die Temperatur so kühl wie in Brighton. Das Grand Hotel ist nicht das einzige Relikt der alten Hill Station, auf der die britischen Kolonialbeamten ihre Tropenleiden linderten. Die Pferderennen wurden 1956 eingestellt, aber den Golfplatz, Kohl, die Kartoffeln und Kühe gibt es noch. Vor dem eindrucksvollen Postamt auf einer Anhöhe steht ein roter Briefkasten der Royal Mail.

Viele Landhäuser sind herausgeputzt und neue Cottage-Bauten werden der Oberschicht aus Colombo angepriesen. Nach dem Tee lustwandelt man auf verschlungenen Pfaden zwischen Seerosenteich und Rosensträuchern durch den Viktoria-Park. Im Schatten seiner höchsten Gipfel zelebriert Sri Lankas Oberschicht mit dem internationalen Jetset bis heute ihr koloniales Erbe. Das geht so weit, dass im versnobten Hill Club nach Sonnenuntergang nicht nur Jeans und T-Shirt tabu sind, sondern auch offene Hemden ohne Jackett und Krawatte. Gäste bekommen letztere notfalls mit steifer Mine leihweise vom Concierge ausgehändigt.

In der „Men’s Bar“ haben Frauen bis heute keinen Zutritt. Allerdings waren es keine Engländer, sondern zwei Schotten und ein Zufall, die dafür sorgten, dass die Bergregion Sri Lankas heute weltweit in aller Munde ist. Der Zufall war eine Pilzkrankheit. Die befiel alle Kaffeesträucher in der Gegend, mit denen die Briten eigentlich satten Profit anstrebten. Ein kaum 20-jähriger Grünschnabel namens James Taylor erkannte, dass der Teestrauch viel besser passte. 1867 ließ er die ersten Pflanzen aus der indischen Region Assam in den dunklen Mutterboden des Hochlandes pflanzen. 1890 kam sein Landsmann Thomas Lipton vorbei und füllte den Staub der getrockneten Blätter für arme Leute in Teebeutel mit gelber Hülle. Lipton’s Yellow Label Tea wurde zum Weltstandard für Beuteltee — und Ceylon zum größten Tee-Exporteur der Welt.

Von Yellow Label will Lalith Premalal freilich nichts wissen. Allein bei dem Namen rollt der diplomierte Tee-Verkoster die Augen wie er sonst den Tee zwischen den Geschmacksknospen der Zunge hin- und herrollen lässt. Auf der Plantage Pedro Estate, benannt nach dem höchsten Berg der Insel, ist er für die Sorten- und Qualitätskontrolle zuständig. 50 bis 80 Tassen frisch gebrühten Schwarztee probiert der Familienvater dazu täglich und hat persönlich klare Vorlieben. Er mag seinen Tee gern kräftig und aromatisch im Geschmack, schön dunkel in der Farbe — und dann mit Milch verdünnt, fast getrunken wie in Ostfriesland.

Eine Million Kilogramm produziert die Plantage davon jährlich und schickt ihn zur Teeauktion runter nach Colombo. 330 Millionen Kilo produzieren die 700 Plantagen der Insel insgesamt. Auf den Feldern rings um die Fabrik zupfen 1250 Frauen alle sechs Tage nur die jüngsten Blätter der Teesträucher. „Wir arbeiten acht Stunden am Tag und jede schafft im Schnitt 18 Kilogramm“, erzählt Sivakavi Kaljaivani, die inzwischen vor allem Touristen herumführt und nebenbei noch einen Ehemann sucht. Ihre Urgroßeltern kamen vor 80 Jahren wie viele andere als Arbeiter aus dem indischen Tamil Nadu und bilden heute eine Minderheit von einer Million Bergtamilen auf Sri Lanka.

1000 Rupien Lohn, rund 7,50 Euro, schaffe eine Pflückerin am Tag, rechnet Kaljaivani vor. Dazu seien Strom, Wasser und Miete frei und die Deutsche Bank sponsert die Kinderbetreuung. Die frisch gepflückten Blätter werden sofort zum Welken auf großen Drahtgittern ausgelegt. In zwölf bis 18 Stunden verlieren sie zwei Drittel ihrer Feuchtigkeit. Dann, ab kurz nach Mitternacht, wenn es schön kühl ist, werden sie maschinell auf Schüttelbrettern gerollt, gepresst und zerkleinert.

Das Fermentieren lässt man auf Pedro Estate aus und entfernt nur die giftigen Strünke und Adern. Schließlich wird der Tee 22 Minuten bei rund 90 Grad getrocknet, durch immer feinere Siebe sortiert und in riesige Pappsäcke verpackt. Wie ein endloser Teppich ziehen sich die sattgrünen Teefelder über die Hügel und durch die Täler, sorgsam gepflegt, damit sie nicht verbuschen, und durchsetzt von gestutzten Kasuarinen zur Beschattung. Eine ganz eigene Kunstlandschaft ist binnen 150 Jahren entstanden, die tagsüber zudem mit etlichen Wasserfällen glänzt. Abends fließt das Wasser dann hinaus auf die Teefelder, damit das Hochland so schön grün bleibt, wie Touristen und Teetrinker es lieben.

Der Autor reiste mit Unterstützung von Der Touristik.