Spaniens drittgrößte Metropole trägt dieses Jahr das Prädikat „Grüne Stadt“ – und feiert im März sein Traditionsfest, die „Fallas“ Valencia, wie es grünt und knallt
Von Claudia Kasemann
Die beiden Schwestern haben überlebt. Als zarte Gestalten in opulent geschmückten Kleidchen sitzen sie am Fenster und blicken auf das große Feuerwerk, das in Valencia alljährlich den krönenden Abschluss der Fallas bildet – eine einzigartig bunte und vor allem laute Festwoche, die immer vom 12. bis 19. März eines Jahres das Stadtleben prägt.
Im Mittelpunkt stehen Ninots, in aufwendiger Handarbeit gefertigte Plastiken und Figuren, ähnlich denen in unserem Karneval. Mit ihnen werden aktuelle politische und gesellschaftliche Themen aufs Korn genommen, teils humorvoll, satirisch, aber auch auf sentimentale und liebevolle Weise. Viele Ninots sind überlebensgroß, die meisten aus Pappmaché und Holz gearbeitet – damit sie gut brennen.
Fallas: Die Kunst
geht in Flammen auf
Denn das Leben der Kunstwerke ist kurz: Zum Ende der Fallas, in der „Nacht des Feuers“ vom 19. auf den 20. März gehen sie in Flammen auf, begleitet von einem gigantischen Feuerwerk und dem Sound vieler tausend Knallkörper. Unter dem Jubel der Massen lodern alle Ninots lichterloh – alle, bis auf eines. Seit 1934 wird in jedem Jahr ein besonders schönes oder signifikantes Ensemble „begnadigt“ und kommt ins Museum. Dort, in der eigens dem Fest gewidmeten Ausstellung „Museu Faller de València“, sind die vom Feuer verschonten Figuren zu bewundern.
Die Fallas-Tradition geht zurück auf den Heiligen Josef, das Volksfest wird seit Mitte des 18. Jahrhunderts gefeiert. Einwohner Valencias, ganze Viertel, Vereine und Falla-Künstler beteiligen sich mit Plastiken und Figuren, die am Tag des Heiligen Josef verbrannt werden, um den Frühling willkommen zu heißen. Im Jahr 2016 wurden die Fallas von der Unesco zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt, wie es in der Dokumentation zur Tradition stolz heißt.
Doch in diesem Jahr gibt es noch mehr zu feiern, denn Valencia ist „Grüne Hauptstadt Europas“. Das Prädikat, das die EU-Kommission seit 2010 alljährlich an eine Stadt in einer Vorreiterrolle vergibt, geht nach Tallin im Vorjahr sowie Lahti und Grenoble in den Jahren 2021 und 2022 nun an Spaniens drittgrößte Metropole. Antonio García, Valencias Generaldirektor in Sachen Grüne Hauptstadt, blättert zurück: Vor einigen Jahrzehnten verwandelten die Stadtplaner das trockengelegte Flussbett des Turia über eine Länge von neun Kilometern in einen der schönsten spanischen Parks - und nicht, wie anderweitig angedacht, in eine Autobahn. „Das war der Startpunkt für Nachhaltigkeit“, sagt García, obgleich die Wortschöpfung im heutigen Sinn damals unbekannt war. Für García steht der Titel der Grünen Hauptstadt „als Lohn für die Vergangenheit und Ansporn für die Zukunft.“ Beim Naturpotenzial bringt Valencia über den Turia-Park hinaus beste Voraussetzungen mit: das Mittelmeer mit den Sandweiten des Strands El Cabanyal, die Obst- und Gemüsefelder des historischen Anbaugebiets „Huerta“ vor den Toren der Stadt und südlich der Naturpark Albufera mit einem riesigen Süßwassersee, der nur durch eine Sanddüne vom Mittelmeer getrennt ist.
Der Spagat, die
grüne Großstadt
Dennoch bleibt die Schwierigkeit bestehen, eine 840000-Einwohner-Stadt in der Gesamtheit als klimafreundlich darzustellen. Dieser Spagat ist schwierig, auch wenn Antonio García anführt, dass das Radwegenetz in und um die Stadt auf mittlerweile 190 Kilometer angewachsen sei. Doch das Bemühen ist überall erkennbar, ob in der „Stadt der Künste und der Wissenschaften“, einem modernen Areal nebst riesigem Aquarium oder in der Altstadt mit der markanten Kathedrale: Überall grünt und blüht es. Wenn Anfang Februar tausende Orangenbäume an den Straßen voller Früchte hängen und aussehen, als hätte sie jemand mit leuchtend orangen Christbaumkugeln dekoriert, dann leuchtet Valencia noch einmal so schön in der Sonne.
Zu Umweltbewusstsein und Luftreinheit in einer grünen Stadt passen die die Fallas im Grunde natürlich nicht. Sie zählen zu den lautesten und kontaminationsreichsten Volksfesten Spaniens. Eine überflüssigere Umweltbelastung geht kaum, würden Kritiker sagen, doch Tradition ist Tradition. Darauf will selbst in der „Grünen Hauptstadt Europas“ niemand verzichten.
Und natürlich sind die Fallas ein absoluter Touristenmagnet. Wer dabei sein möchte, sollte frühzeitig Flüge und Unterkunft buchen, denn die innerstädtischen Hotels werden meist schon Monate im Voraus reserviert und rufen während des Fests teils stattliche Übernachtungspreise auf. Eine Abneigung vor zu vielen feiernden Menschen auf engstem Raum und Lärm die ganze Nacht hindurch sollte man auch nicht haben. Die Fallas sind eine einzige Party, an der gefühlt alle in der Stadt teilnehmen.
Alle, bis auf die beiden Pappmaché-Schwestern aus dem vergangenen Jahr, die offenbar wegen Krankheit von drinnen zuschauen mussten. Arme kleine Ninots! Die Szene war offenbar so herzig, dass das Kunstwerk begnadigt wurde und nun im Fallas-Museum zu bewundern ist – zusammen mit allen anderen „Überlebenden“ der letzten 90 Jahre. kas/dpa