Einen Tag zu Gast bei Krake, Krebs & Co.
In Stralsund wartet ein ganz besonderes Museum auf Freunde des maritimen Lebens. Multimedia- und Show-Effekte gibt es inklusive.
Stralsund. Gespannt wie eine zum Absprung bereite Katze lauert der vierjährige Paul vor der Scheibe des großen Beckens. Viel zu sehen ist in dem Aquarium, das die Unterwasserwelt eines Bootsstegs darstellt, nicht. Zwischen Pfählen und Steinen schwimmen Fische, ein paar Luftblasen steigen auf, alles eher unspektakulär.
Doch dann schwappt plötzlich eine große Welle herein, verwandelt alles in ein weiß schäumendes Tosen. Der Junge springt auf, als würde er von der Wucht der Wassermassen mit umhergewirbelt und jubelt atemlos: „Noch mal!“ Wer das Ozeaneum in Stralsund besucht, sollte Zeit mitbringen.
Vor dem Brandungsküstenbecken, in dem minütlich neue Wellen ihren Auftritt haben, können Besucher mit Kindern locker zehn Minuten zubringen. Und es ist nur eine von vielen Attraktionen in dem Museum, das im vergangenen Sommer den Titel „Europas Museum des Jahres“ bekommen hat. Wie eingehüllt in große weiße Segel steht das 2008 eröffnete Bauwerk auf der nördlichen Hafeninsel der Hansestadt.
Die Behnisch Architekten, von denen der Entwurf stammt, haben alte Backsteinbausubstanz mit Glas und vorgebogenen Stahlblechen aus dem Container-Schiffbau kombiniert. Ein schönes Beispiel dafür, wie moderne Architektur harmonischer Bestandteil ihrer Umgebung und zugleich Sinnbild ihrer Funktion sein kann.
Vom Eingang wird der Gast über eine endlos erscheinende, 31 Meter lange Rolltreppe in den dritten Stock geschickt. Wer Kinderwagen oder Rollstuhl dabei hat, der darf im gläsernen Aufzug an Walskeletten vorbei unters Dach schweben. Oben angekommen bietet sich zunächst einmal ein grandioser Ausblick über den Strelasund bis nach Rügen. Dann wird es finster. Die Weltmeere und ihre Bewohner in längst vergangenen Zeiten sind Thema der ersten Ausstellung.
Blaues Halbdunkel, wie in den Tiefen der Ozeane, dreieckige, beleuchtete Vitrinen ziehen die Blicke an, zeigen Muscheln, Schnecken, Präparate. Um sich auf die Exponate einzulassen, bräuchte man ein wenig Muße, aber am Ärmel zupft der Junior. „Wo sind denn hier die lebenden Fische?“ Historie also im Schnelldurchgang, weiter geht’s zur Ostseeausstellung, eine Etage tiefer.
Deutlich ausgeschildert ist der Weg zur Treppe. Um allerdings den kleinen Schalter zu finden, der die Tür Richtung Fahrstuhl öffnet, muss man in der Dunkelheit der Tiefsee schon genauer hinsehen. Der Lift ist so klein, dass mit Mühe zwei Kinderwagen hineinpassen. Das könnte in der Haupt-Urlaubszeit Nerven kosten. Ausgestopfte Robben tummeln sich in einem Schaukasten, in einem anderen hält ein Seeadler eine gerade erbeutete Gans in den Klauen. Paul drückt sich seine Nase an den Vitrinenscheiben platt. Im Uhrzeigersinn kann der Besucher die Küsten des baltischen Meers erkunden. Doch ganz soweit reicht die Geduld dann doch nicht. „Wann kommen wir endlich zu den lebenden Fischen?“
Eine Treppe führt direkt ans Ziel der Wünsche. Der Fahrstuhl auch? Wie in jedem Lift des Museums, reist auch hier ein Mitarbeiter mit, um den Besuchern den Weg zu weisen. Bis zu fünf Stunden am Stück pendelt er im Sommer zwischen den Stockwerken. Insgesamt sechs Millionen Liter Meerwasser sind im Ozeaneum verteilt auf 39 große und kleine Aquarien.
In den kleineren sind Krebse und Krabben, Seepferdchen und Kraken aus allernächster Nähe zu bestaunen. Die größeren geben dem Betrachter das Gefühl, selber mitten im Stralsunder Hafenbecken, in einer Flussmündung oder im Kattegatt zu stehen. Gesunkene Schiffswracks, ein altes Fahrrad oder ein Einkaufswagen, in dem sich ein paar Aale häuslich niedergelassen haben, liegen auf dem Meeresgrund. Und wenn sich auch noch das fast sechs Meter lange Tunnelaquarium über den Köpfen der Gäste wölbt, dürfte auch der letzte die Welt über der Wasseroberfläche vergessen haben.
Durch die nördlichen Meere von der Ostsee durch die Nordsee und den Atlantik bis ins Polarmeer führt die Reise. Sie endet vor einem riesigen Becken, in dem Schwarmfische, Haie und Rochen über einem Pottwalskelett ihre Runden ziehen. Das Tier war im Dezember 1997 vor Rømø gestrandet und sein riesiger, 600 Kilogramm schwerer Kopf musste beim Bau des Ozeaneums eigens mit einem Kran ins Becken gehoben werden, bevor die Gebäudedecke gegossen wurde.
Pauls Kraft ist nach all dem Staunen allmählich am Ende. Im Bistro Hafenblick gibt es Kakao und einen kleinen Imbiss zu fairen Preisen. Oben auf dem Dach wartet noch das Kindermeer mit Gelegenheit, in der nachgebauten Seegraswiese im Freien zu toben oder die Humboldt-Pinguine auf ihrem Brutfelsen zu beobachten.
Und schließlich ruft das Museumspersonal über Lautsprecher zur nächsten Wal-Show. Auf einer der Liegen in der 20 Meter hohen, schwach beleuchteten Halle lässt sich der Junge unter den im Maßstab 1:1 nachgebauten Riesen der Meere nieder.
Ein 26 Meter langer Blauwal hängt über ihm an kaum sichtbaren Seilen von der Decke. Ein Pottwal liefert sich einen Kampf mit einem Riesenkalmar. Daneben schweben Schwert- und Buckelwal, die während der Multimedia-Show effektvoll beleuchtet werden.
Als dann noch Walgesänge den Raum füllen, klappen dem Vierjährigen ganz allmählich die Augen zu.