Digitale Verunsicherung Vom Jahreswechsel, der im Internet nicht stattfindet
„Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist“, ist die heimliche Hymne zum Jahreswechsel. Doch im Internet gibt es kein Vergessen. Hier bleibt alles gleichzeitig. Im Alkoholdunst der Silvesternacht ließen wir nur kurz die Vergangenheit zurück.
Doch im Januar finden sich die alten Peinlichkeiten in den Chroniken sozialer Netzwerke und in Suchmaschinen wieder. Wer mit Google zurückblickt, findet nach wie vor den VW-Abgas-Betrug auf Top-Positionen. Hier rächt sich die fatale Informationspolitik: Man gibt nur zu, was längst bewiesen ist. Im Internet holt den Konzern die Vergangenheit ein. Wer im Netz mit Verhinderungstaktik operiert, bleibt in den Maschen der Krise hängen.
Dass es auch anders geht, hat die Bundesregierung bewiesen: Statt des Hashtags #Merkelstreichelt steht die Rolle der Kanzlerin in der Flüchtlingskrise im Vordergrund. Die kann man werten wie man will, zumindest hat Angela Merkel eine Linie. Authentizität schafft Glaubwürdigkeit, und die sorgt dafür, dass man in der Diskussion nicht untergeht.
Rasche Positionswechsel schaffen auf dem Fußballfeld Torchancen, unkontrolliertes Lavieren aber mündet in Eigentore. Das wissen auch Blatter, Niersbach und Beckenbauer. Wenn schon kein Sieg mehr zu erwarten ist, so sollte das Ergebnis die Zukunft in der Liga nicht verbauen. Im Internet hätten Fifa und DFB Gelegenheit zum raschen Ballwechsel gehabt. Mit der richtigen Strategie lässt sich der Spielverlauf beeinflussen. Nach dem Abpfiff hat das Ergebnis Bestand.
Das Internet kennt keinen Jahreswechsel. Während sich zu mitternächtlicher Stunde arm oder reich, jung oder alt, Star oder Nobody in den Armen lagen, hing die knappe halbe Welt noch im alten Jahr, andernorts aber hatte 2016 längst begonnen. Alles im selben Moment. Nach dem Kater am Neujahrsmorgen kommt die Ernüchterung: Im Web ist zeitlos alles eins. Die Fehler von 2015 lassen sich nicht aus dem digitalen Gedächtnis verdrängen. Willkommen in der ewigen Gegenwart.