Mein Soundtrack für den Sommer Shania Twain: „Über was singt die denn da?“

1999 gab es im niederländischen Radio nur zwei Sommerhits: Shania Twains „That don’t impress me much“ und Wamdue Projects „King of my Castle“.

„That don’t impress me much“ von Country-Sängerin Shania Twain (r.) lief 1999 ständig im Radio.

Foto: ger/dpa

Krefeld. School’s out for summer! Nichts hat die Familie Pradelok in den 80er und 90er Jahren glücklicher gemacht, als innerhalb der sechswöchigen Sommerferien nach Holland zu fahren — überwiegend nach Katwijk aan Zee. Sommer, Sonne, Muscheln und leckere Pommes. Es war Tradition. Meine Mutter organisierte stets alles und packte die ganze Familie in den kleinen, alten, klapprigen Opel Kadett.

„King of my Castle“ von Wamdue Project war im selben Jahr auch ein Hit.

Foto: ger/dpa

Wie sie es hinbekommen hat — ich weiß es bis heute nicht. Denn mit Vater, Mutter, Oma, Cousine und mir im Inneren des Autos kämpfte jeder nach Bewegungsfreiheit und Sauerstoff. Doch es klappte und die Urlaube sind mir in sehr guter Erinnerung geblieben. Vor allem weil ich auf meine Frage „Wann sind wir da?“ immer die Aufgabe bekam, die Kühe draußen zählen zu dürfen.

Als die Familie nach dem Tod meines Vaters und meiner Großmutter immer kleiner wurde, versuchte meine Mutter trotz allem, die Tradition aufrecht zu erhalten. Schließlich wollte sie auf Urlaub mit mir nicht verzichten. Im Sommer 1999 verschlug es uns beide ausnahmsweise nach Noordwijk — Abwechslung muss schließlich sein. Allerdings war ich zu dem Zeitpunkt 17 Jahre alt, nicht wirklich pflegeleicht und hörte Heavy-Metal. Sehr zum Unmut meiner Mutter, die mich ständig fragte: „Kind! Ist alles in Ordnung mit dir?“ Als wir dann in der Pension ankamen, war irgendwie alles doof: Freund nicht da — doof. Ältere Leute, die einem sagten, man sehe mir meine polnischen Wurzeln an — doof. Mutter, die ständig auf Achse sein wollte, doof. Doch noch viel doofer war das Radio, aus dem nichts Gescheites geträllert kam. Denn die niederländischen Radiosender kannten im Sommer 1999 anscheinend nur zwei Lieder. Zwei! Es gab wirklich nichts anderes im Radio, auf einen Kassettenrekorder hatten wir bewusst verzichtet.

Anfangs haben wir noch über die Songauswahl gelacht. Doch das änderte sich spätestens am dritten Tag, da wurden wir richtig aggressiv. Letztlich ging dann das Gemecker los — und die Fragerei. Ich weiß nicht, was schlimmer war. „Über was singt die da?“ Wir waren gerade im Auto unterwegs und die Frage traf mich unerwartet. Mit „die da“ war die amerikanische Country-Sängerin Shania Twain gemeint, die im Dezember 1998 mit „That don’t impress me much“ einen Hit landete.

Ein leichtes Popliedchen, mit einer noch leicht bekleideteren Frau. Doch erst ein halbes Jahr später sollten die niederländischen Radiosender das Lied für sich entdecken. Ein Spätentwickler? Wer weiß. Wir waren jedenfalls genervt.

Vor allem Dank des ständigen „Ah, ow“ den Frau Twain von sich gab. Ich versuchte mit meinem Schul-Englisch so viel Sinn in ihren Song zu bringen, wie es mir nur möglich war. Zu dem Zeitpunkt, Veröffentlichung hin oder her, kannte ich das Video nicht — zum Glück. Denn dann hätte ich bestimmt gesagt: „Die Frau hat sie nicht mehr alle! Sie steht in einem Leoparden-Outfit — eigentlich fast nackt — mitten in der Wüste und sucht eine Mitfahrgelegenheit. Hallooooo?!“ Um die Neugier meiner Mutter zu befriedigen, stammelte ich mir einen ab, dass sie von irgendwelchen Typen, die sie aufgabeln wollten, nicht beeindruckt ist. Selbst Brad Pitt hätte bei der Guten nicht landen können. Tja, arme Männerwelt.

Es wäre schön gewesen, wenn meine Mutter es bei der einen Frage belassen hätte. Da sich aber noch „King of my Castle“ von Wamdue Project mit Shanias Country-Geplänkel den Sendeplatz teilte — alle gefühlten 20 Minuten wurden die beiden Lieder hintereinander abgespielt — fragte sie mich auch über den Sinn dieses Techno-Beat-Songs aus. Ich hatte zwar den japanischen Zeichentrickfilm „Ghost in the Shell“ gesehen, aus dessen Szenen das Musikvideo Größtenteils bestand, konnte ihr aber keine sinnvolle Erklärung liefern.

Wie erklärt eine 17-Jährige ihrer Mutter, dass der Film um Cyborgs handelt, deren Wille von einem Hacker namens Puppetmaster kontrolliert wird und das der Titel „King of my Castle“ (Ich bin der Herr/König meines Schlosses) Bezug auf Sigmund Freuds Theorie des menschlichen Unterbewusstseins nimmt, die besagt, dass das Ego des Menschen nicht frei ist und stattdessen von seinem Unterbewusstsein kontrolliert wird? Ich überlegte und wich der Frage gekonnt aus, indem ich vorschlug, später beim Thailänder anzuhalten. Meine Mutter ging drauf ein und löcherte mich nicht weiter. Was ein Glück!

18 Jahre später: Wir sind im Auto unterwegs und Shania Twains „That don’t impress me much“ schallt aus den Boxen. Ich denke nichts Böses, als mich plötzlich der Schlag von links aus meinem Tagtraum reißt. „Erinnerst du dich an das Lied? Wie hieß das andere noch mal, das neben diesem ständig lief?“, fragt mich meine Mutter lachend und hüpft am Steuer auf und ab. „King of my Castle“, brumme ich und massiere die Stelle, wo sie drauf gehauen hat. „Ach, war das schön, oder?“

Ja, irgendwie war es schön, auch wenn wir damals viel über diese Lieder geschimpft haben. Ich muss zugeben, dass ich den Urlaub erst vergessen hatte — aus den Augen aus dem Sinn. Doch rückblickend waren die Holland-Reise und diese beiden Songs, die meinen damaligen Lebensstil überhaupt nicht trafen — und es heute auch nicht tun — gar nicht so schlecht . . .

Auch wenn ich damals ein ziemlich genervter und anstrengender Teenager gewesen bin und alles doof fand: Der Noordwijk-Urlaub 1999 war spitze und zeigt mir heute, was für eine tolle Frau meine Mutter ist. Liebevoll, sorgend und immer bemüht, alles für mich zu tun. Deshalb widme ich den Text ihr. Denn schließlich sind diese beiden Lieder unsere — und werden es immer sein.