Eine Stadt braucht Nischen
Im zweiten Teil des Experten-Interviews sprechen Reinhold Knopp und Volker Eichener über die Entwicklung des Wohnungsmarktes.
Düsseldorf. Ob am Belsenplatz, im Hafen oder hinter dem Hauptbahnhof: In Düsseldorf werden große neue Wohnsiedlungen geplant oder schon gebaut. Wie verändern diese Projekte die Stadt und das Leben? Darüber haben wir mit dem Soziologen Reinhold Knopp und dem Wohn-Forscher Volker Eichener gesprochen.
Knopp: (Lacht)
Knopp: Naja, bei dem Namen muss ich immer schmunzeln. Was ist denn an diesem Viertel bitteschön französisch? Bei der Dichte, die da hingesetzt wird: Wenn das jetzt sozialer Wohnungsbau wäre, würde jeder sagen das ist ein Ghetto.
Knopp: Wir werden da sicherlich keine sozialen Probleme haben, aber es schafft eine Konzentration von Menschen in gleichen Lebenslagen. Das beinhaltet Langeweile. Wenn ich in meiner Wohnung sitze, mit dem Auto in die Tiefgarage fahren kann und vielleicht noch zum Italiener um die Ecke gehe, dann ist das für mich kein urbanes Leben. Es gehört dazu, dass Menschen sich auch unter Fremden bewegen, die nicht den gleichen Lebensstil haben, das beinhaltet, sich Räume zu erobern und Ängste zu verlieren.
Eichener: Aber durch die Neubau-Viertel wird die Stadt ein wirtschaftliches Plus haben. Und das kommt letztlich auch den Einkommenschwachen zugute. Da entsteht ein Milieu, das Steuern entrichtet, mit denen dann soziale Leistungen finanziert werden. Speziell am Derendorfer Güterbahnhof wird außerdem urbanes Wohnen für Familien angeboten. Das begrenzt die Stadtflucht der Familien, die in der Vergangenheit häufig in Vororte gezogen sind. Der Derendorfer Güterbahnhof ist ein Beispiel, dass es auch in der Innenstadt gelingen kann, Enklaven für Familien zu finden - zumindest für die oberen Einkommensklassen.
Knopp: Was mit diesen Filetstücken passiert, läuft alles über den Markt. Das ist der Versuch, Düsseldorf als Gewinnerstadt mit hohem Image interessant zu machen für Leute mit noch mehr Geld. Das kann urbanes Leben beschädigen, weil es Eintönigkeit erzeugt. Bebauung wirkt auf das Leben.
Knopp: Nehmen Sie doch einmal die Sennhütte am S-Bahnhof Zoo oder die Kneipen an der Tußmannstraße. Das sind Oasen, die ein Viertel lebendig machen. Sie sind Vorläufer für das Interesse der Menschen, dort zu wohnen, und damit der Magnet für die nächste, sozial besser gestellte Schicht. Stellen sie sich vor, aus den Kneipen an der Tußmannstraße würden Edelrestaurants. Das wäre todlangweilig.
Knopp: Die Stadtentwicklung orientiert sich zu sehr am Immobilienmarkt, das halte ich langfristig für einen großen Fehler. Da wird das Image der Stadt irgendwann verloren gehen. Was jetzt gebaut wird, richtet sich an Menschen mit viel Geld. Ich hätte es spannend gefunden, wenn dort sozialer Wohnungsbau integriert worden wäre, um diese einseitigen Nachbarschaften zu vermeiden.
Eichener: Eine subkulturelle Szene wird in Düsseldorf immer ihre Nischen finden. Sie haben heute die Funktion, die früher Parks hatten. Ein typisches Beispiel war Monkey’s Island, was dem sterilen Hafenquartier für einige Jahre soziales Leben eingehaucht hat. Oder Les Halles am Derendorfer Güterbahnhof. Die Nutzung als Flohmarkt, Diskothek und Café stellt eine wesentliche Aufwertung der Viertel Derendorf und Pempelfort dar. Das wurde ja auch beim Namen des Quartiers berücksichtigt.
Eichener: Die Stadt sollte versuchen, wieder Nischen bei Neubauprojekten zu schaffen. Das erfordert vielleicht eine Neuorientierung der Stadtplanung. Urbanität erwächst aus dem Ungleichwertigen: Dass man zum Beispiel das moderne Gehry-Haus hat, und daneben noch ein Buch-Antiquariat oder einen arabischen Händler. Gewachsene Viertel haben das. Neugebaute Quartiere haben meist weder diese Nutzungsmischung, noch ökologische Nischen.
Knopp: Ich mache mir Sorgen, dass soziale Unterschiede durch den Lebensraum verstärkt werden. Wichtig ist, dass alle Menschen die Ressourcen der Stadt wie Schwimmbäder oder Parks nutzen können. Ohne Scham. Je mehr man die Entwicklung dem Wohnungsmarkt überlässt, desto größer ist die Gefahr, dass sich arme und reiche Gegenden bilden, die nichts mehr miteinander zu tun haben.
Eichener: Problemquartiere müssen eine Aufwertungsperspektive erhalten und dürfen nicht zu Ghettos werden. Wir haben beispielsweise im Rahmen der Stadtforschung in Wersten-Ost Perspektiven entwickelt. Dazu gehören Wohnungen für Senioren und Studenten und soziale Maßnahmen wie Bildungseinrichtungen oder Streetworker.
Eichener: ... ein Ausbau des Wohnungsangebotes. Am besten durch Innenentwicklung, zum Beispiel auf Industriebrachen.
Knopp: ... Spielräume, wie am ehemaligen Monkey’s Island, bei Les Halles oder in Flingern zu erhalten. Davon lebt Düsseldorf: Spielräume für junge Leute, Künstler und Kreative. Und man muss nicht überall dort, wo gerade ein besseres Image entstanden ist etwas Großes hinsetzen.
Eichener: Das Wohnen wird vielfältiger werden. Mietskasernen mit homogener Bevölkerung sind passé. Die Bevölkerung wird heterogener: Mehr Singles, Senioren und kinderlose Paare. Das Wohnen wird sich anpassen. Die soziale Mischung wird wieder vielfältiger werden. Das geht zu Lasten der Vororte, die sich zu gutbürgerlichen Rentnerkolonien entwickeln werden. Die fehlende soziale Infrastruktur wird dann für die Vororte zum Problem.