Letzte Chance vor der Anklage
Mobbing und Prügel lassen sich Lehrer nicht mehr gefallen. Mit Polizei, Staatsanwalt und Jugendgerichtshilfe zeigen sie Schülern die „Gelbe Karte“.
Düsseldorf. Die Ausreden für Prügeleien auf dem Schulhof sind für Lehrer immer öfter nicht zum Aushalten. Karlheinz Kießler, kommissarischer Leiter der Fritz-Henkel-Hauptschule, musste kürzlich bei einem Gewaltpräventionsprojekt in seiner Schule feststellen, dass schon Achtklässler "schlichtweg über keinerlei Unrechtsbewusstsein verfügen".
Das neue Programm "Gelbe Karte" soll den Jungen und Mädchen deutlich machen, dass Unfug nicht immer harmlos ist und durchaus Folgen haben kann. Im Herbst ist es gestartet.
Wie die WZ berichtete, ziehen dabei Schulen, die Jugendsachbearbeiter der Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendgerichtshilfe an einem Strang (siehe Kasten). Vertreter der genannten Behörden führen mit dem jeweiligen Jugendlichen Gespräche, die immer in eine erzieherische Maßnahme, etwa Sozialstunden oder Sport, münden.
"Das Verfahren ist die letzte Möglichkeit, vor einer ordentlichen Gerichtsverhandlung abzubiegen", sagt Frank Schier, Jugendbeauftragter im Polizeipräsidium. Zwar werde in jedem Fall Strafanzeige erstattet, aber keine Anklage erhoben. Deswegen auch gelbe und nicht gleich rote Karte.
Aber es gibt Bedingungen für diese Chance: Ein Merkblatt, das Schier entwickelt hat, sagt klipp und klar: Der Gesprächstermin ist nicht verschiebbar. Wer nicht kommt, dem droht ein offizielles Verfahren. Das Merkblatt wird grundsätzlich zweimal verschickt: an die Eltern und an den Jugendlichen.
"Wir wollen Problemschüler ganzheitlich erfassen", sagt Klaus-Peter Vogel, Sprecher der Hauptschuldirektoren. "Mit der Ganztagsschule verbringen Kinder und Jugendliche immer mehr Zeit in der Schule. Also sollte man Schule auch einbinden. Dann können wir sehen, wie wir helfen und ob wir vielleicht die Freizeit positiv beeinflussen können."
Schier hat ein passendes Beispiel aus Düsseldorf parat, wo das Projekt "Gelbe Karte" bereits erfolgreich umgesetzt wird. Ein Mädchen erlebt ein familiäres Trauma. Sein Vater stirbt, der Bruder, der zum wichtigsten Beziehungspartner geworden ist, bringt sich um. Die Schülerin zieht sich zurück. Verweigert sich den Lehrern, sogar dem geliebten Sportverein. Sie wird mehrfach beim Stehlen erwischt.
Das Gelbe Karte-Team wird durch die Schule eingeschaltet, und Staatsanwaltschaft und Jugendgerichtshilfe spüren auf, was hinter den Diebstählen steckt: große unverarbeitete Trauer. "Der Staatsanwalt hat dem Mädchen aufgetragen, sich wieder im Fußballverein anzumelden", erzählt Schier. "Das hat geholfen."
Entmachtet fühle man sich durch die Unterstützung Dritter nicht, betont Vogel. Aber man wolle die pädagogische Leitung behalten. "Es ist vielmehr so: Wenn Staatsanwalt und Polizei eingreifen, schockiert das die Schüler. Mit einer Klassenkonferenz kann man ihnen nicht mehr imponieren." Auch könne kein Schulleiter Eltern dazu verdonnern, dem Kind die Mitgliedschaft im Sportclub zu bezahlen. "Ein Staatsanwalt aber kann das", sagt Vogel.
Wer mitmacht "Gelbe Karte" wird von den Jugendsachbearbeitern der Polizei, der Staatsanwaltschaft und der Jugendgerichtshilfe getragen. Seit zwei Jahren haben Schulen feste Jugendsachbearbeiter bei der Polizei, an die sie sich jederzeit wenden können. Die Gespräche finden im Polizeipräsidium statt, wo Staatsanwalt und Jugendgerichtshilfe Räume zur Verfügung stehen.
Standorte "Gelbe Karte" wurde an Schulen im Düsseldorfer Süden gestartet. Mitte Januar kommt die Stadtmitte hinzu und danach der Norden.
Schulen Teilnehmen können alle Schulformen.
Nachsorge Die Jugendgerichtshilfe kontrolliert, ob der Jugendliche, der das Verfahren durchläuft, seine Sozialstunden ableistet, beziehungsweise die vom Staatsanwalt verordnete Maßnahme wahrnimmt.
Chance Die Teilnahme am Programm ist einmalig. Eine zweite Chance gibt es nicht. Bei erneuter Auffälligkeit geht es vors Gericht.
Kontakt Auskunft gibt der Jugendbeauftragte der Polizei Frank Schier, Telefon 8705084.