Auftritt – Schauspieldirektor Gehrt: "Die Leute suchen Emotion"
Nach gutem Start spricht der neue Schauspieldirektor Matthias Gehrt über Krefeld, sein Konzept und die Stimmung am Theater.
Herr Gehrt, die ersten Premieren liegen hinter Ihnen und Ihrem Team. Welches Gefühl haben Sie?
Matthias Gehrt: Wir sind durchaus zufrieden. "Othello" in Gladbach ist gut gelaufen, obwohl das TiN ein schwieriger Ort ist, akustisch lausig. Publikum und Bühne lassen sich dort nur schwer verzahnen. Im Zuschauerraum bekommt man leicht das Gefühl, dass einen das alles nichts angeht.
Gehrt: Unsere Reihe "Außereuropäisches Theater" hat Experimentalcharakter, das Publikum muss kulturelle Sprünge machen. Ich bin mit dem Ergebnis dieser ersten Runde zufrieden, auch die mediale Resonanz ist erheblich.
Gehrt: Die Bandbreite wird natürlich größer sein. Von "Woyzeck" bis "Rocky Horror Show" haben wir ja alles am Start. Dennoch kann man schon erkennen, dass wir Theater nicht als Volkshochschulkurs oder akademische Erziehung verstehen. Wir wollen sinnliche Abende schaffen.
Gehrt: Das Theater muss inhaltlich, aber auch ästhetisch zeigen, was es kann. Die Leute kommen ja nicht, um sich zu bilden. Sie wollen etwas empfinden, sie suchen die Emotion.
Gehrt: Unterhaltung ist in unserem Spielplan ausreichend vertreten - aber sie ist natürlich nicht alles. Wir müssen die Zuschauer ernst nehmen, dürfen uns nicht über sie erheben. Und das Publikum ist zu mehr Anstrengung bereit, als wir manchmal glauben.
Gehrt: Es gibt hier ein breit gefächertes, gebildetes Publikum. Ich habe bisher keinen Moment lang das Gefühl gehabt, mich in der Provinz zu befinden. Wenn ich mich mental in der Provinz fühlte, wäre es schwierig für mich.
Gehrt: Das müssen wir gemeinsam herausfinden. Manche erwarten von uns mehr Experiment, mehr Aufbruch. Andere möchten, dass alles so bleibt, wie es ist. Wir können aber nur das Theater machen, das wir selbst mögen - ohne Berechnung. Dieser Anfang ist ja auch ein zauberhafter Zustand: Wir alle gehen mit Recht höflich miteinander um, aber wie unsere Arbeit im Alltag angenommen wird, muss die Zukunft zeigen. Wir sind auf Erkundungsreise.
Gehrt: Es ist eine bewusste Entscheidung, dass wir uns in dieser ersten Spielzeit auf große Autoren stützen. Das sind ja in der Regel auch nicht die leichtesten Stoffe. Komplexität überlebt lange, und ich habe es gerne schwierig. In Zukunft werden wir aber auch mehr junge, zeitgenössische Stücke ins Programm nehmen. Die sind dann nicht unbedingt auf die Heeder beschränkt. Auch im großen Haus sind riskanten Unternehmungen möglich.
Gehrt: Weil wir es als schmerzhaft empfinden, wenn so oft auf dem Spielplan "keine Vorstellung" steht. Es gab hier sehr viele Tage, an denen der Vorhang nicht hochging. Wir möchten die Schlagzahl erhöhen, viele neue Formate ausprobieren und sehen, was die Leute mögen.
Gehrt: Wir haben das Ensemble vor allem verjüngt. Es gab keinen Schauspieler unter 30, jetzt haben wir drei Absolventen, der Jüngste ist 22. Gerade mit diesen jungen Leuten möchten wir einen langen Weg gehen. Wichtig war uns auch, viele unterschiedliche Typen abzudecken. Und: Wir müssen bei nur 14 Schauspielern für zwei Standorte mit jedem einzelnen eine Hauptrolle besetzen können. Es soll hier kein Protagonisten-Theater entstehen.
Gehrt: Bei den meisten Absolventen weiß man nach ein paar Sekunden, ob sie einen interessieren. Ich hatte am Ende zehn Leute in der engeren Wahl und habe mit jedem eine Stunde gearbeitet. Danach habe ich mich für Felix Banholzer, Cornelius Gebert und Helen Wendt entschieden.
Gehrt: Es ist wie das Wechseln der Straßenseite. Aber den Job aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, ist äußerst reizvoll. Ich freue mich darauf, kontinuierlich mit den gleichen Schauspielern zu arbeiten. Die drei Wochen Balzritual am Anfang einer neuen Produktion fallen weg.
Gehrt: Vielleicht der Adrenalin-Kick beim Erobern eines Ensembles. Im Ernst: Ich habe die Zeit des Herumreisens sehr genossen, aber jetzt bin ich angekommen. Die innere Unruhe, ob es woanders vielleicht noch besser ist, empfinde ich nicht mehr.
Gehrt: Ich bin wohl von zu Hause aus ein Reisender, nicht nur, was das Theater betrifft. Ich war schon als junger Mensch weit und lang unterwegs. Dabei kommt man aber oft über das Schauen nicht hinaus. Man muss an einem Ort leben, damit sich etwas entwickelt. Das habe ich getan.
Gehrt: Was wir hier treiben, worüber wir uns aufregen, wird relativ unbedeutend, wenn man Länder wie Nigeria erlebt. Das hilft, mit den Eitelkeiten am Theater vernünftig umzugehen. Wir dürfen uns hier glücklich schätzen.
Gehrt: Ich muss nicht im Rampenlicht stehen. Auch das kommt mit dem Reisen. Nach einer Stunde im Flugzeug liegt meine Karriere hinter mir, die Bedeutung von Kritiken in der FAZ oder Theater heute schwindet dramatisch.
Gehrt: Man kann ein Theater so organisieren, dass man die Leute aufeinander hetzt und sich jeder auf Kosten des anderen durchsetzen muss. Wir wählen den Weg der Kollegialität, mit offenem Visier und möglichst uneitel. Das heißt aber nicht, dass hier nur Heititei und Freundlichkeit herrschen. Auch bei uns wird es Verletzungen und Scheitern geben. Harmonie klingt verdächtig. Es geht eher um den Ton, den man anschlägt, und den Geist, den man versucht zu verbreiten.