Babyboom im Krefelder Zoo: „Oh, wie süß!“

Ein Krefelder Psychologe erklärt, warum wir auf Kulleraugen, Stupsnasen und den tapsigen Gang des tierischen Nachwuchses fliegen: Sie wecken den Beschützer-Instinkt.

Krefeld. Zahn- und hilflos zappeln sie herum. Krallen sich mit flauschigem Fell und schwarzen Kulleraugen an ihren Müttern fest, betreten mit tapsigen Schritten die große Bühne: das Frei-Gehege des Krefelder Zoos. Mit einem im Vergleich zum restlichen Körper großen Kopf, noch kurzen Gliedmaßen oder samtigen Tatzen wirken Tierkinder fast wie Menschenbabys - was wir enorm knuddelig finden.

Kinderstar Knut - inzwischen ein moppeliger Halbstarker - hat gezeigt, wie ein kleiner Eisbär die halbe Welt in Entzücken versetzen kann. Was mag erwachsene Menschen dazu bringen, angesichts eines Raubtiersäuglings nahezu einhellig in "Oh, wie süß"-Rufe auszubrechen? "Das Kindchenschema", weiß Diplom-Psychologe Tobias Bendfeld von der Klinik Königshof. "Es gibt tief verankerte Schlüsselreize, auf die wir automatisch positiv reagieren. Und die beschränken sich eben nicht nur auf Menschen, sondern funktionieren auch bei Säugetieren", erklärt Bendfeld ein Phänomen, das Verhaltensforscher Konrad Lorenz beschrieben hat (siehe Kasten).

"Ein Baby ist bei Geburt nicht lebensfähig ohne Hilfe, ohne Interaktion", so Bendfeld. Eine Kombination von Merkmalen wie große Augen, runder Kopf oder tapsige Bewegungen wecken das Fürsorgeverhalten. Forscher vermuten, dass damit die Bindung zum Kind gestärkt wird. Im Klartext: Wir können nicht anders, als uns des hilflos anmutenden Wesens anzunehmen und es unglaublich niedlich finden.

Davon können sich manchmal auch diejenigen nicht freisprechen, die täglich mit Tierkindern zu tun haben. "Sie lösen bei mir den gleichen Oh-wie-süß-Effekt aus wie bei den Besuchern. Und wenn man das Glück hat, eine Geburt zu erleben, ist das auch etwas ganz Besonderes", sagt Elke Maasen, die seit fast 27 Jahren als Tierpflegerin im Krefelder Zoo arbeitet. Sie kümmert ich um den Guereza- und Trampeltier-Nachwuchs. "Obwohl wir sie am liebsten den ganzen Tag betüddeln würden, müssen wir Pfleger aber einen professionellen Abstand wahren, um die Tiere nicht zu vermenschlichen."

"Das ist wichtig fürs Tier", bestätigt Christina Malz, die seit zehn Jahren im Zoo beschäftigt ist - hauptsächlich im Affenhaus, aber auch bei den Kängurus. Den Winzling im Beutel von Kylie hat auch sie bisher nur kurz zu Gesicht bekommen. "Jungtiere sind fast alle niedlich. Bis auf Papageien vielleicht." Die seien nackt und furchtbar hässlich am Anfang. "So wie Tauben. Die haben einen fiesen Schnabel", weiß Auszubildender Eike Kück. Er betreut den Faultier-Nachwuchs die zwei Jungtiere der Saki-Weißgesichtsäffchen, wovon das eine erst vorletzte Woche geboren ist.

Psychologie: Das Kindchenschema bezeichnet die bei Menschen und vielen höheren Tierarten vorkommenden kindlichen Proportionen. Sie wirken als Schlüsselreiz und wecken Fürsorge- und Kümmerverhalten. Dadurch ist im Tierreich gewährleistet, dass Eltern ihre Jungen beschützen und groß ziehen.

Begriff: 1943 postulierte Konrad Lorenz den Begriff als Bezeichnung für die Merkmale des Kleinkindergesichts.

Beispiele: Stofftiere oder Puppen werden nach Kindchenschema gezielt niedlich gestaltet. Auch in japanischen Mangas und der Attraktivitätsforschung spielen kindliche Attribute eine Rolle.