Das erste Warenhaus der Stadt
Strauss und Merländer handelten dort mit Stoffen. Nach ihnen könnte der neue Platz benannt werden.
Krefeld. Um den Namen für den neugestalteten Platz am Sinn-Haus an der Neusser Straße ist in den vergangenen Wochen ein Streit entbrannt. Die SPD hat vorgeschlagen, ihn Kayseri-Platz nach Krefelds türkischer Partnerstadt zu nennen. Der Aktivkreis Südliche Innenstadt, die Grünen und ein Großteil der Fraktionen in der Bezirksvertretung Mitte sprechen sich für einen "Merländer-Strauß-Platz" aus.
Die Samt- und Seiden-Großhandlung von Richard Merländer und Siegfried Strauß war im 1906 erbauten Sinn-Haus eine Weile beheimatet. Denkmalpfleger Veit Berroth, Architekt Guenter Puff und die Leiterin der NS-Dokumentationsstätte, Dr. Ingrid Schupetta, erinnern an das stadtgeschichtlich bedeutsame Sinn-Haus und die erschütternde Geschichte der Seidenhändler.
Veit Berroth, Denkmalpfleger
Auf Initiative von Heinrich Sinn, Inhaber und Hauptbeteiligter der großen Firmenvereinigung Gebr. Sinn, Sinn & Cie. und F. & H.Sinn, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts an der Neusser Straße ein modernes Warenhaus nach dem Vorbild des Berliner Wertheims gebaut. Die Pläne dazu stammen von dem Düsseldorfer Architekten Otto Engler.
Aus dem Zuschnitt der Straßengabelung von Neusser- und Gladbacher Straße heraus, konzipierte Engler einen Zweiflügelbau mit abgeschrägtem Winkel. Die gebrochene dreiachsige in die platzförmige Gabelung vorstehende Eckfassade trägt als Hauptansichtsseite im angerundeten Mansardgiebel die von spiralförmigen Elementen und lilienartigen Verzierungen umrahmten Firmeninitialien der Gebrüder Sinn mit der Jahreszahl.
"Das ist eins der seltenen Jugendstil-Elemente, die in Krefeld zu finden sind", erzählt Berroth bei einer Ortsbesichtigung. Die Häuser im Umfeld stammen aus der Zeit des historischen Historismus (ab 1860). "Die sind typisch für Krefeld und der Grund, weshalb Krefeld damals das Paris am Niederrhein genannt wurde."
Das Sinn-Haus wurde damals in neuester Eisenbetonkonstruktion ausgeführt, der eine konservative, mit Bildhauerelementen versehene Sandsteinkonstruktion vorgesetzt wurde. Alle drei Fassaden besitzen im ursprünglichen Zustand große, den ganzen Raum zwischen den Pilastern einnehmende Fensterflächen, die im zweiten Obergeschoss von einem Korbbogen überfangen werden.
Der Redakteur der Krefelder Zeitung, Vorgänger der Westdeutschen Zeitung, der wenige Stunden vor Eröffnung am 23.September 1906 einen exklusiven Blick in die vier Etagen des Warenhauses werfen durfte, war angesichts der gediegenen Ausstattung und des feinen Warenangebotes voll des Lobes. Die Verkaufsabteilungen waren im Erdgeschoss links und rechts vom Haupteingang in einem Halbkreis aneinander gereiht, während in der Mitte des Hintergrundes sich das runde Lichthof-Haupttreppenhaus mit einem Aufzug für die Kunden erhob. Insgesamt waren drei Treppenhäuser vorhanden. Durch die großen Fensterscheiben fiel strahlend das Tageslicht.
Wann Merländer und Strauß das Sinn-Haus bezogen haben, ist nicht eindeutig zu klären. Bekannt ist, das die beiden 1904 zusammen mit Hermann Heymann in Krefeld die Firma Merländer, Strauß & Co. gegründet hatten. Auf einem Foto, datiert auf das Jahr 1920, ist in den Fensterbögen der dritten Etage der Schriftzug der Firma zu erkennen. Die jüdischen Kaufleute wurden später Opfer der Nationalsozialisten und ihres Rassenwahns. 1938 mussten sie die Firma aufgeben.
Das Sinn-Haus selbst hat den Zweiten Weltkrieg zum größten Teil überstanden. "Das wunderschöne runde Treppenhaus ist allerdings verloren gegangen", erzählt Berroth. Ob durch Kriegsschäden oder dem späteren Abriss in den 1980-er Jahren ist jedoch unbekannt.
Als die Familie Sinn 1969 das Haus an diesem Standort aufgab und zur nördlichen Hochstraße umzog, war das Haus in einem erbärmlichen Zustand. Die ehemaligen Bogenfenster waren in den oberen Etagen zugemauert und stattdessen in schmale kleine Fensteröffnungen aufgeteilt, das Türmchen war verschwunden, die großen Fenster im Erdgeschoss hinter großen Plakatwänden verschwunden.
Jahrelang wurde im Rahmen des Stadtumbaus Süd I darüber diskutiert, dieses Gebäude abzureißen. Um das zu verhindern, gründete sich die Bürgerinitiative Kaufhaus Sinn", besetzten junge Leute mit der Forderung nach einem Jugendzentrum das Gebäude und forderten Architekten und der Kunstverein "Erhalten und nicht abreißen". Letztendlich errangen sie einen Teilerfolg. Zumindest die Fassade konnte durch eine aufwändige, kostenintensive Sanierung erhalten werden.