Leben im Alter Der "letzte Umzug": Anneliese Blöß blüht im Heim auf

Der „letzte Umzug“ wird oft negativ als Abschiebung beschrieben. Dass es auch die positive Seite gibt, zeigt die 80-Jährige, die im Altenwohnheim Gatherhof lebt.

Leben im Alter: Der "letzte Umzug": Anneliese Blöß blüht im Heim auf
Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. „Es war nicht fünf vor zwölf, sondern schon zwölf Uhr“, sagt Monika Fränzel und schaut gerührt auf ihre Mutter Anneliese Blöß, die vor etwa eineinhalb Jahren mit akutem Nierenversagen ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Ihr Leben stand auf des Messers Schneide. Die heute 80-Jährige lebte zu der Zeit im Spargeldorf Walbeck bei Geldern, hatte eine 100 Quadratmeter große Wohnung mit Garten. 29 Jahre hatte sie in Walbeck gelebt, von heute auf morgen war das alte Leben der Witwe vorbei.

Drei Wochen musste sie im Krankenhaus bleiben, dann stand fest: Das Leben geht weiter — fragt sich nur: wie? Zunächst einmal hat Monika Fränzel ihre Mutter bei sich zu Hause an der Blumentalstraße in Krefeld aufgepäppelt: „Wir hatte immer ein gutes Verhältnis“, sagt sie. Doch das allein reichte nicht.

Zurück nach Walbeck konnte Anneliese Blöß nicht: „Meine Bekannten im Ort hatten mit sich selbst zu tun, die anderen lebten im Nachbarort Veert“, berichtet die alte Dame. Früher kein Problem, aber nach der Erkrankung war die Distanz einfach zu groß. Ihre Tochter ergänzt: „Nach Walbeck ist es von uns aus nicht weit. Doch hin und zurück sind das von Krefeld mit dem Auto doch mindestens eineinhalb Stunden. Mal eben vorbeischauen, ist nicht drin.“

Schon länger hatte Anneliese Blöß Angst, dass ihr etwas passieren könnte, ein Sturz vielleicht, den keiner bemerkt, hilflos am Boden, das Telefon in unerreichbarer Entfernung. Ein Alptraum.

Also eine Mutter-Tochter-WG in Krefeld? Auch das ging nicht, stellten sie gemeinsam fest: Die Wohnung an der Blumentalstraße geht über mehrere Etagen. Anneliese Blöß musste mit dem Stuhl die Treppen rauf- und runteruntertransportiert werden. Ein unhaltbarer Zustand.

Allerdings hatten sich Mutter und Tochter schon vor vielen Jahren darüber unterhalten, was geschehen sollte, wenn das Alleinleben nicht mehr funktioniert. Damals war schon klar, dass eine Unterbringung im Heim eine Möglichkeit ist. „Ich bin immer für Dich da“, hatte Monika ihrer Mutter versprochen. Und die sagt heute ganz klar: „Diese Entscheidung darf nicht erst gefällt werden, wenn Du auf der Trage liegst, das muss vorher passieren.“

Jetzt sitzen Monika Fränzel und Anneliese Blöß im gemütlichen Aufenthaltsraum des Altenwohn- und Pflegeheim Gatherhof und berichten über ihre Erfahrungen mit dem, was man den „letzten Umzug“ nennen könnte. Die Einrichtungsleiter Jörg Elsing und Sabine Ott haben sich dazugesellt, sie sind stolz auf Anneliese Blöß, auf die Entwicklung, die sie in Gatherhof genommen hat.

Aus dem Pflegefall ist eine engagierte Vorsitzende des Heimbeirats geworden, die sich in Gatherhof sichtlich wohlfühlt: „Die Entscheidung war klar: Bei meiner Tochter bleiben konnte ich nicht, zurück nach Walbeck auch nicht. Natürlich habe ich hier in den ersten beiden Monaten ein paar Tränchen vergossen.“

Warum Gatherhof? Monika Fränzel erinnert sich: „Wir kannten das Heim überhaupt nicht. Man muss sich auf Tipps von Bekannten verlassen, sich dann ins Auto setzen und die Heime abklappern.“ Gatherhof hat bei ihrem Mann gleich einen guten Eindruck hinterlassen: „Alles ist hier ein wenig kleiner, es sieht nicht so nach Krankenhaus aus. Es gibt keine Riesenräume, in denen alle aufeinanderhocken.“ Die Privatsphäre werde respektiert.

Elsing und Ott, die vor mehr als einem Jahr mit einem neuen Konzept die Leitung übernommen haben, sind überzeugt von ihrer Arbeit: „Es tut sich einiges in den Heimen. Wir arbeiten in kleinen Wohngruppen, damit Bewohner und Personal eine echte Chance haben, sich kennenzulernen und echte Beziehungen aufzubauen.“

Was auch bedeutet, dass die Pflege- und Reinigungskräfte nicht so einfach in die Privatsphäre „reinballern“ können. „Alle Türen haben Knauf und Klingel“, betont Elsing. Anneliese Blöß bestätigt: „Ich hatte auch ganz andere Vorstellungen. Ich möchte nicht, dass plötzlich jemand bei mir im Zimmer steht.“ Das gelte nicht nur für das Personal, sondern auch für die Heimbewohner, ergänzt Elsing: „Frau Meier kann nicht so einfach bei Frau Müller rein.“

Drei Wohnguppen hat das Heim, jeweils eine im Erd-, Ober- und Dachgeschoss. Eine Etage, auf der vorwiegend demente Heimbewohner untergebracht sind, gibt es nicht. „Wir setzen auf die gegenseitige Unterstützung der Bewohner und haben damit sehr viele positive Erfahrungen gemacht“, so Ott. Im Gatherhof braucht keiner Angst zu haben, dass er aufgrund einer fortschreitenden dementiellen Entwicklung umziehen muss.

Um eine Grundorientierung zu geben, werden die Wohngruppen farblich unterschieden, Farben, die sich auch in den Fenster- und Türrahmen wiederholen. Wer noch mobil und geistig fit ist, kümmert sich um die Mitbewohner, auch um die dementen: „Wir spielen Mensch-ärgere-dich-nicht zusammen. Eine Frau haben wir dabei sogar wieder zum Reden gebracht“, berichtet Anneliese Blöß.

Natürlich gibt es auch in den Wohngruppen die Eigenbrötler, die sich in ihrer Wohnung verschließen, keinen Kontakt zu den Mitbewohnern wollen. Dabei wird Gemeinschaft in Gatherhof großgeschrieben. Jede Wohngruppe hat ihre eigene Küche, in der die Hauptmahlzeiten in Konvektomaten, eine Art Dampfgarer für Profiküchen, erwärmt werden. Dazu werden Gemüse und Salate frisch in der Küche zubereitet.

Einmal pro Woche kochen die Heimbewohner ihr Essen selbst. Dann kommt das auf den Teller, was sich die Senioren wünschen. Es gibt Reibekuchen (Blöß: „Die haben wir schon oft gemacht.“), Bratkartoffeln mit Salat und Spiegelei, Frikadellen und Pizza. Der Gipfel der Genüsse ist der „Krefelder Spieß“, Endivien untereinander mit Stampfkartoffeln, Specksoße und Flönz: „Der Spieß stand auch im alten Krefelder Hof am Ostwall auf der Speisekarte“, schwärmt Anneliese Blöß.

Nicht nur beim Thema Essen ist der Heimbeirat erste Anlaufstelle für Anregungen, Ideen und Beschwerden, die an die Heimleitung weitergereicht werden. Sabine Ott: „Wir sind darauf angewiesen, dass wir über Missstände informiert werden. Nur so können wir sie abstellen.“ Jörg Elsing ergänzt, dass man ja schließlich ein Qualitätsmanagement habe, das mit Leben gefüllt werden müsse.

Das nächste größere Projekt, dass Leitung und Bewohner sich auf die Fahnen geschrieben haben, ist das Sommerfest am 2. Juli. „Das letzte Fest war super“, sagt Anneliese Blöß. „Vorher waren die Feste ein bisschen klein und nur für den engeren Kreis. Das haben wir abgestellt“, pflichtet ihr Jörg Elsing bei: „Uns ist es ein Anliegen, ein Fest für uns und unsere Nachbarn zu machen.“ Die Nachbarn, unter anderem der Tus Gatherhof sowie die umliegenden Schulen und Kindergärten haben Darbietungen angekündigt. Für die etwas lauteren Töne ist die Krefelder Jazzband „Evergreens“ zuständig.

Anneliese Blöß wird nicht mitjazzen, aber dabeisein, die Tränchen vom Anfang sind vergessen. Und für Monika Fränzel ist ganz wichtig: „Meine Mutter muss jetzt keine Angst mehr haben.“

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