Maikundgebung in Krefeld „Hier tickt eine soziale Zeitbombe“

Verdi-Chef fordert bei der Maikundgebung vor mehreren Tausend Menschen im Stadtgarten mehr Solidarität.

Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Locker und gelöst tritt Verdi-Chef Frank Bsirske als Hauptredner auf. Der aus seiner Sicht erfolgreiche Abschluss der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst hat ihm sichtlich gute Laune beschert. „Es ist Zeit für mehr Solidarität und Zusammenhalt in unserer Gesellschaft“, sagt Bsirske und wendet sich gleich dem nächsten Thema zu. Sein Signal, von viel Applaus begleitet: „Ein Kurswechsel in der Rentenpolitik muss her. Die Talfahrt muss gestoppt werden. Die Rente muss reichen, um in Würde alt werden zu können“, bringt Bsirske auf den Punkt, was wohl auch die große Mehrheit der Anwesenden bewegt.

Zu befürchten sei eine „millionenfache Altersarmut mit einer Rente auf Hartz-IV-Niveau“. Die gesetzliche Rente müsse wieder das Erfolgsmodell der Alterssicherung werden, nachdem die Riester-Rente gescheitert sei. Das sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die keinen Aufschub dulde.

Schon in wenigen Jahren drohe mehr als elf Millionen Menschen hierzulande die Altersarmut, sagt Birske. Betroffen seien Beschäftigte bis zu einem Verdienst von 2 500 Euro brutto. Nach 40 Arbeitsjahren erhalte man dann 786 Euro Rente. Bei einer Umfrage unter Arbeitnehmern hätten 42 Prozent gesagt, die Rente werde nicht ausreichen und weitere 42 Prozent, sie werde gerade so ausreichen. „Hier tickt eine soziale Zeitbombe, die entschärft werden muss.“

Dem könne man nur durch eine Anhebung des Rentenniveaus auf mindestens 50 Prozent entgegen wirken, fordert der DGB-Bundesvorsitzende. Auch Horst Seehofer und Sigmar Gabriel forderten inzwischen eine Rentenreform, aber Finanzminister Wolfgang Schäuble und etliche Arbeitgeber wollten die Menschen bis zum Alter von 70 Jahren arbeiten lassen. „Ja haben die sie noch alle, die haben doch jeden Kontakt zur Lebenswirklichkeit verloren“, empört sich Bsirske und erntet Beifall. „Die sollte man alle mit zu Pflegeeinrichtungen, zur Müllabfuhr oder auf den Bau zum Arbeiten nehmen.“

Die soziale Gerechtigkeit sei in den letzten Jahren kräftig unter die Räder gekommen, nun sei Zeit für mehr Solidarität. Der Umbau der sozialen Sicherungsverträge habe Armutslöhne und unsichere Jobs gefördert. Die Einführung der Mindestlöhne sei ein erster richtiger Schritt, eine weitere Erhöhung müsse folgen. Vor allem aber müssten Minijobs, ungleich bezahlte Arbeit, unfreiwillige Teilzeitarbeit und Werkverträge durch reguläre Beschäftigung ersetzt werden. Bei vielen jungen Menschen sei eine Familienplanung gar nicht möglich.

DGB-Kreisvorsitzender Ralf Köpke begrüßt, dass mit OB Meyer nun ein Mann an der Stadtspitze steht, der das Gespräch mit Unternehmern und Betriebsräten suche. Der Empfang von 120 Arbeitnehmern am Samstag im Rathaus sei ein positives Zeichen gewesen. Köpke: „Wir verspüren in Krefeld derzeit einen Aufbruch.“

Ein Bandwurm von gut 800 Menschen schlängelt sich am Sonntagmittag vom DGB-Büro in der Fabrik Heeder durch die City zum Stadtgarten. An der Spitze des Zuges laufen Verdi-Chef Frank Bsirske, DGB-Kreisvorsitzender Ralf Köpke und Oberbürgermeister Frank Meyer mit. Mit dem Demonstrationszug zum Tag der Arbeit beginnt traditionell die Maikundgebung. Tausende Menschen haben sich im Stadtgarten versammelt und genießen das Internationale Maifest bei bestem Wetter.

Der Oberbürgermeister ist guter Dinge, freut sich als Gewerkschaftsmitglied auf seinen „Chef und DGB-Bundesvorsitzenden Bsirske“. Er sei froh, dass die Tarifverhandlungen in Potsdam gelaufen seien und er dazu nicht mehr Stellung nehmen muss, weil bei diesem Thema zwei Herzen in ihm schlagen. Die Finanzierung der Lohnerhöhung werde zwar schwierig für die Stadt, aber die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes hätten für ihre gute Arbeit auch gutes Geld verdient. Seine Mahnung geht an den Bund. Der dürfe die Kommunen nicht im Stich lassen und müsse sich unter anderem am Ausbau der Infrastruktur beteiligen.

Für die Stadt ständen wichtige Aufgaben an. Man müsse sich an der Frage messen lassen, wie man mit den Flüchtlingen umgehe. „Wir müssen dafür sorgen, dass sie ein Dach über dem Kopf haben, und uns ordentlich um sie kümmern“, sagt Meyer und bedankt sich für den „tollen Job“ bei den vielen Ehrenamtlern und den Mitarbeitern der Stadtverwaltung. Die nächste Aufgabe sei es, die Flüchtlinge zu integrieren. „Denn viele werden bleiben und dazu beitragen, dass die Stadt wächst — eine Riesenchance für Krefeld.“ Solidarität fordert Meyer aber nicht nur für Flüchtlinge ein sondern für alle Menschen, die Hilfe brauchen. Er selbst verspricht, an der wirtschaftlichen Entwicklung kräftig mitzuarbeiten.