Jüdische Gemeinde: Der erste Rabbi seit 70 Jahren
Yitzhak Mendel Wagner ist einer der jüngsten Rabbiner in Deutschland. Seine Aufgabe ist für ihn eine Berufung.
Krefeld. Im Hausflur türmen sich die Farbeimer, Kabel hängen lose aus der Wand. "Wir arbeiten auf einer Baustelle", sagt Yitzhak Mendel Wagner. Dieser Zustand ist kein neuer: Das Gemeindezentrum wird renoviert, nebenan die neue Synagoge gebaut. Fertig ist bislang nur der provisorische Raum für die Gottesdienste. "Ein Zustand der Entwicklung", sagt Wagner. "Und das ist positiv." Auch, weil das Ende absehbar ist: Im Herbst soll die Synagoge an der Wiedstraße fertig sein.
Der neue Rabbiner hingegen ist schon seit einigen Monaten da: Yitzhak Mendel Wagner hat im Mai seinen Dienst angetreten. Er ist der erste Rabbi in Krefeld seit 70 Jahren. "Wenn die neue Synagoge fertig ist, ist die geistige Infrastruktur schon da", sagt er und lacht. Mit seinen 28 Jahren ist der gebürtige Krefelder nach eigenem Bekunden der zweitjüngste Rabbiner Deutschlands. Seinen Hut, der ein wenig an Joseph Beuys erinnert, setzt er auch während des Gesprächs nicht ab. Sein Lächeln ist jungenhaft, fast ein wenig scheu, seine Worte jedoch klingen anders. Er spricht von jüdischer Identität, von Assimilation, von Werten, die es zu bewahren gelte.
Um Rabbi zu werden, hat Wagner ein zweijähriges Studium der jüdischen Gesetze hinter sich. Eine Schule für Rabbiner gibt es in der Region nicht. Daher liefen die meisten Prüfungen übers Internet. "Vergleichbar mit einer Fern-Uni." Für die abschließenden 12-stündige Prüfung zum "Rabbi-Diplom" musste er jedoch nach Jerusalem. Praktisch nebenbei studierte er Judaistik in Düsseldorf.
"Es war schon lange mein Wunsch, in meiner Heimat das jüdische Leben wieder aufzubauen", sagt Wagner. Sein Ziel sieht er vor allem darin, bei Jugendlichen eine jüdische Identität, ein jüdisches Selbstvertrauen zu schaffen. "Das ist eine Berufung", erzählt er. Und erklärt: "Es geht darum, den Bezug zur jüdischen Kultur und Religion zu stärken, durch das Lernen der hebräischen Sprache, durch jüdische Feiertage, durch israelische Kultur wie Tänze und Musik."
Aber eben nicht allein darum: "Auch die Seelsorge ist sehr wichtig. Rabbi sein bedeutet auch, alte Menschen zu besuchen, Tränen zu trocknen, bei gebrochenem Herzen zu helfen." Dazu kommen die klassischen Aufgaben: Gottesdienste, Trauungen, Beerdigungen und Totenwaschungen.
Schon als Jugendlicher half Wagner regelmäßig in der Gemeinde mit. Probleme mit der Akzeptanz verspürt er trotzdem nicht. "Ich berufe mich in den Gesprächen auf Bücher, die über 1000 Jahre alt sind. Man kann die Thora, unsere heilige Schrift, bei vielen Gelegenheiten heranziehen", sagt er. Einige Jahre schon hatte die Jüdische Gemeinde einen Rabbiner gesucht, erst in Wagner den passenden gefunden. "Es ist ein großer Vorteil, dass er die Gemeinde und ihre Gegebenheiten schon kennt", erklärt Michael Gilad, zweiter Vorsitzender der Gemeinde. "Außerdem ist sein Wissen über jüdische Gesetze und Geschichte sehr groß."
Über 1000 Mitglieder hat die jüdische Gemeinde zwischen Kleve und der Stadtgrenze zu Düsseldorf, die meisten wohnen jedoch in Krefeld selbst. "97 Prozent davon kommen aus der ehemaligen Sowjetunion. Dort durften viele ihren Glauben nicht leben. Ihr Wissenshunger ist groß", sagt Wagner. Seine Frau kommt aus der Ukraine, daher kann auch er sich in Russisch verständigen.
Löb Carlburg Er war ab 1809 der erste Krefelder Großrabbiner und galt als Experte der Bibelexegese. Carlburg starb 1835 mit 72 Jahren. Zu seiner Zeit gab es in Krefeld nur etwa 20 jüdische Familien mit rund 160 Personen.
Lio Nullmann Carlburgs Nachfolger wirkte bis zu seinem Tod 1843 in Krefeld. Als Kenner orientalischer Sprachen legte er die erste vollständige deutsche Übersetzung des Korans vor. Auch die schulische Bildung der Kinder lag ihm am Herzen.
Artur Bluhm Nach Löb Bodenheimer (1844-68), Jakob Horowitz (1869-1903) und Joseph Levi (1904-28) war er bis 1938 der sechste Krefelder Rabbiner. Er überlebte das KZ Dachau und emigrierte in die USA, wo er 1964 starb.