Lesung: „Über den Klippen - als ich Willy Brandt einmal zu Bett brachte“ von Jürgen Kessler

Jürgen Kessler genügte ein Zufall, um ein Buch über den Ex-Kanzler zu schreiben. Bei der Lesung im Lokschuppen war aber auch Hanns Dieter Hüsch ein Thema.

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

Krefeld. Wie kann man nach einer einzigen Begegnung ein ganzes Buch schreiben? Jürgen Kessler kann es. Er hat 1976 im Urlaub zufällig Willy Brandt getroffen und daraus eine kleine anrührende autobiografische Geschichte gemacht. Jetzt las er aus seinem Buch im voll besetzten Lokschuppen vor begeisterten Zeitzeugen aus der 68er Generation, zu der keineswegs nur SPD-Anhänger gehörten.

Auch der Autor, Jahrgang 1949, der seit 25 Jahren das Kabarettarchiv mit Museum in Mainz als Geschäftsführer leitet, gehört zu dieser Generation. Eine bewegte Zeit mit einer aufrührerischen Jugend und einem Kanzler, der durch den Kniefall vor dem Denkmal des Warschauer Ghettos weltweit Aufsehen erregte.

„Ich habe mich nach diesem Schuldbekenntnis von Brandt vor aller Welt wohler gefühlt“, beschreibt Kessler einen Teil seiner Verehrung für den emotionalen Sozialdemokraten.

Kessler kreuzte den Weg Brandts, als er mit seinem Freund Manfred im gleichen Hotel auf Gozo, der Schwesterinsel vor Malta, Urlaub machte.

Der Kanzler war dort mit Gefolge abgestiegen, einschließlich einer englischen Künstlerin und deren Damenbegleitung. Brandt versuchte laut Kessler offensichtlich, seine zu Ende gehende Ehe mit seiner ersten Frau Ruth zu verarbeiten.

Warum der Buchtitel „Über den Klippen - als ich Willy Brandt einmal zu Bett brachte“ heißt, verriet Kessler nicht. Dann müsse man schon das Buch lesen - eine Hommage an den großen Sozialdemokraten.

Das Gespräch mit seinem politischen Vorbild regte den 1949 in Mainz geborenen Autor zum Philosophieren und Reflektieren seiner eigenen Entwicklung in einem Internat mit strengen Erziehern an, die eine braune Vergangenheit hatten. „Ein braunes Blubbern überall“, stellte der Autor fest. Diese Gedanken verflocht er mit der Beschreibung des mediterranen Kosmos der Republik Malta.

„Brandt war kein Machtpolitiker, man mochte ihn einfach in jener vaterlosen Zeit der 68er Gesellschaft“, sagt Kessler. Er habe dem Land wesentlich mehr gegeben als umgekehrt. Damit erinnerte der Autor daran, dass die eigenen Parteigenossen Brandt übel mitgespielt hatten. Es folgte der Rücktritt, der letztlich der Spionageaffäre um seinen persönlichen Referenten Günter Guillaume geschuldet war. Die Macht sei in falsche Hände gefallen, schlussfolgerte Kessler. Schließlich habe Brandt stets davor gewarnt, dass das richtige Maß noch nicht gefunden sei.

Nach einem großen Applaus des Publikums für einen unterhaltsamen Abend kam Kessler, am Niederrhein als langjähriger Manager von Hanns Dieter Hüsch bekannt, nicht umhin, noch aus seiner innigen Beziehung zu dem Kabarettisten („Der Niederrheiner weiß nichts, kann aber alles erklären“) zu plaudern.

Hüsch sei nicht Kabarettist geworden, um die Menschen Mores zu lehren. Überhaupt habe sich dieser ab 1984 leider vom Kabarett entfernt und sich mehr literarischen Inhalten zugewandt. Ein Thema, das von den Zuhörern im Lokschuppen noch lange diskutiert wurde.