Tanzfestival "Move!": Schlaf gebiert Ungeheuer

Die Berliner Compagnie Toula Linaios gastierte bei „Move!“ mit einem verstörenden Stück.

Krefeld. Gewalt erzeugt nicht nur körperliche, sondern auch seelische Verletzungen, Traumata genannt. "Wound" (Verletzung) nennt die Choreographin Toula Limnaios ihr Stück, das sie jetzt mit ihrer Berliner Compagnie in der Fabrik Heeder im Rahmen der Tanztage "Move!" zeigte und das mit seiner Struktur Erinnerungsschüben von traumatisierten Personen, die sie auch als Tagträume überfallen, verblüffend nahe kommt.

Vier Tänzerinnen, zwei Tänzer, alle tänzerisch sehr gut, agieren vor einer Opera, auf die Filmschnipsel - teils aus alten Filmen - projiziert werden. Ein Mann, der einen lebenden Schmetterling aufspießt, bleibt haften.

Auf der Bühne selbst gibt’s als Requisit einen großen Bildband über den Maler Goya, den am Anfang eine Tänzerin auf dem Kopf balanciert, am Ende ein Tänzer auf dem Gesicht trägt. Natürlich muss man sofort an Goyas berühmte Radierung "Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer" denken.

Ungeheures oder Merkwürdiges hat die Choreographie vieles zu bieten, nicht reihenweise, sondern oftmals parallel montiert, das ist ihr dem Thema angemessener ästhetischer Trick. Normalerweise versucht die Bühnenkunst ja, den Blick der Zuschauer zu fokussieren. Limnaios setzt die Aktionen mehrerer Paare nebeneinander, oder auch die eines Paars und einer Gruppe.

So schweift der Blick beständig, das Ungeheuerliche gerät beiläufig in den Blick. Das ähnelt der Erfahrungswelt traumatisierter Personen, in der Erinnerungsfetzen Augenblickswahrnehmungen überlagern.

Ein Mann, der eine Frau bei einem Pas de deux beständig würgt. Eine Frau, der immer wieder die Hose ausgezogen wird. Ein Mann, auf dessen nackten Bauch sich eine Frau mit Pumps stellt. Das sind nur ein paar der Aktionen, die zunehmend verstörend wirken.

Am Ende fliegen im Video in Zeitlupe eine Bücherwand, ein Fernseher, ein Kühlschrank in die Luft. Der Alltag explodiert, und davor tanzt ein Tänzer ein entrückt ruhiges Solo. Das ist als Ende dieses Stücks eine Utopie, die keine ist, nur die Illusion einer Utopie.