Bundestagswahl 2017 Bündnis 90/Die Grünen: Dunkelrot steht für gute Chancen

Wahlkampfzentralen und ihre Macher - Grüne fischen vor allem im Netz nach Wählern

Foto: Bündnis90/Die Grünen

Berlin. Sebastian Duwe sitzt am „Potenzial-Score“. Einige Stadtteile von Berlin werden jetzt auf dem Computerbildschirm sichtbar. Und lassen sich mit ein paar Klicks bis in einzelne Straßenzüge zerlegen, die wiederum an manchen Stellen dunkelrot sind. Duwe hat drei Jahre lang an der Entwicklung dieses auf den ersten Blick wenig spektakulären Programms mitgetüftelt.

Dabei ist es eine Art Geheimwaffe der Grünen im aktuellen Bundestagswahlkampf. Mit der Software kann nämlich praktisch jedes Mitglied leicht nachschauen, wie die Partei bei der letzten Wahl in seiner unmittelbaren Umgebung genau abgeschnitten hat. In der grünen Wahlkampfzentrale wird Duwe deshalb „Doktor Zahl“ genannt.

Bei früheren Bundestagswahlen brütete man noch in einem anderen Gebäude n Berlin-Mitte über Feindbeobachtung, Internet-Auftritte und Touren-Planungen. Michael Kellner, Jahrgang 1977 und seit Ende 2013 Bundesgeschäftsführer der Partei, sorgte nun dafür, dass der aktuelle Wahlkampf direkt von der Parteizentrale aus gesteuert wird. „Das ganze Haus engagiert sich dafür“, versichert der gebürtige Thüringer.

Dafür wurde die erste Etage der Bundesgeschäftsstelle nahezu komplett neu ausstaffiert. Auch der Sitzungsraum des Vorstands ist jetzt vorübergehend ein großes Büro mit mehreren Computer-Arbeitsplätzen. Insgesamt 5,5 Millionen Euro lässt sich die Partei den Bundestagswahlkampf kosten. Und weil die grüne Anhängerschaft besonders Netz-affin ist, setzen Kellner und seine rund 30 Mitarbeiter in erster Line auf den Online-Wahlkampf.

Knackige Videos sollen dabei zum Renner werden. So wie vor ein paar Monaten ein Kurzfilm mit dem Spitzenkandidaten Cem Özdemir und dessen Haltung zum Verfassungsreferendum in der Türkei. „Der wurde über 1,2 Millionen Mal auf Facebook angeschaut“, berichtet Kellner stolz.

Wer viel in der virtuellen Welt unterwegs ist, wird allerdings auch leicht zum Opfer so genannter Fake-News. Ein paar Türen weiter gibt es in der Wahlkampfzentrale dazu eigens eine „Online-Feuerwehr“, die im Zusammenspiel mit einer Facebook-Gruppe aus mehr als 2000 Nutzern dafür sorgt, dass Falschbehauptungen möglichst schnell entkräftet werden oder ganz verschwinden. So hatten zum Beispiel AfD-nahe Kreise ein vermeintliches Zitat von Toni Hofreiter ins Netz gestellt, wonach sich der Fraktionschef für das Auswendiglernen von Koranversen stark mache. Das war natürlich Unsinn. Sofort schickte die Online-Feuerwehr massenhaft Gegenkommentare ins Netz, was zu einer Löschung des Eintrags führte.

Kellner zeigt eine große Deutschlandkarte mit einer Vielzahl grüner und gelber Fähnchen. Das ist der Tourenplan. Grün markiert die Auftrittsorte von Özdemir und Co-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt, gelb die der anderen Führungsleute. Richtig starten soll das Ganze sechs Wochen vor der Bundestagswahl, die am 24. September stattfindet. Allerdings reden die beiden Spitzenkandidaten auch schon seit geraumer Zeit auf Bürgerversammlungen, im Wahlkampfsprech „Town-Hall-Format“ genannt. Man steht dann an einem Tisch mitten im Publikum und beantwortet nach einer kurzen Einführung Fragen. „So kommen sie stärker mit Menschen ins Gespräch als bei der klassischen Podiumsdiskussion“, sagt Kellner.

Darüber hinaus will man bundesweit mit 3000 mobilen Großplakaten präsent sein, doppelt so viele wie bei der Wahl vor vier Jahren. Ähnlich wie SPD und CDU haben auch die Grünen den Haustür-Wahlkampf entdeckt. „Raus aus der Blase, ran an die Menschen“, schwärmt Kellner. Zwar bringt es wenig für seine Partei in der Uckermark Klinken zu putzen. Aber mindestens jeder dritte der insgesamt 480 Kreisverbände soll dabei mitmachen.

Spätestens hier kommt wieder das Programm von „Doktor Zahl“ ins Spiel. Bei der letzten Bundestagswahl erzielten die Grünen 8,4 Prozent der Stimmen. Und so, wie es gegenwärtig aussieht, werden sie wohl froh sein müssen, dieses Niveau zu halten. Ein Dunkelrot beim „Potenzial-Score“ kann dafür den Ausschlag geben. Denn in diesen Gebieten billigt man sich die größten Erfolgschancen zu. „Wir gehen dorthin, wo die Wahlbeteiligung vor vier Jahren relativ niedrig und das grüne Ergebnis gut war“, sagt Kellner.