Brexit-Votum: Schäuble warnt vor falschen Signalen

Berlin/London (dpa) - Das britische Votum gegen die EU facht in der Bundesregierung einen Grundsatzstreit über den Weg aus der Krise Europas neu an. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) warnte den Koalitionspartner SPD vor falschen Weichenstellungen für mehr Schulden.

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Er widersprach in der „Welt am Sonntag“ Forderungen der Sozialdemokraten, mit zusätzlichen staatlichen Investitionen das Wirtschaftswachstum in Europa anzukurbeln. Es könne nicht angehen, „die falsche Idee“ wieder zu beleben, „dass man mit neuen Schulden Wachstum auf Pump erzeugt“.

Einen EU-Wachstumspakt für mehr soziale Gerechtigkeit verlangt auch SPD-Chef Sigmar Gabriel. Der Vizekanzler bekräftigte am Sonntagabend im ZDF, ihm gehe es angesichts von EU-weit 25 Millionen Arbeitslosen um Investitionen in Infrastruktur, Forschung und Bildung. Die SPD sei auch nicht für neue Schulden, sondern zunächst für den Kampf gegen Steuerhinterziehung in Europa, um das nötige Geld hereinzubekommen.

Schäuble rief angesichts der Brexit-Krise auch zu einem Kurswechsel auf, der die einzelnen EU-Staaten mehr in die Pflicht nimmt. „Wir müssen in Europa schneller sichtbare Ergebnisse liefern“, sagte er am Sonntagabend in der ARD. Notfalls sollten europäische Länder mit „Führungsverantwortung“ - wie Frankreich und Deutschland - in bestimmten Fragen vorangehen. Doch müsse klar sein, dass es für Probleme wie die Flüchtlingskrise und die Grenzsicherung keine rein nationalen Lösungen gebe.

Sein Vorstoß sei nicht gegen die EU-Kommission in Brüssel gerichtet, versicherte Schäuble. Er hatte zuvor in dem Zeitungsinterview für „Schnelligkeit und Pragmatismus“ bei der Lösung von Problemen in Europa plädiert - notfalls auch ohne Führungsrolle Brüssels. „Wenn die Kommission nicht mittut, dann nehmen wir die Sache selbst in die Hand, lösen die Probleme eben zwischen den Regierungen.“

Schäuble ließ in der ARD erkennen, wie sehr er eine auf mehr sozialen Ausgleich ausgerichtete Schuldenpolitik missbilligt. Mit Blick auf den Besuch Gabriels in Griechenland sagte er: „Was Herr Gabriel in Athen erzählt hat, (...) die Deutschen seien schuld an den griechischen Problemen, das kann er ja wirklich nicht im Ernst gemeint haben.“

Gabriel hatte bei dem Treffen mit dem linken Regierungschef Alexis Tsipras mehr Wachstumsimpulse für EU-Krisenländer gefordert. Der SPD-Chef bekräftigte am Samstag in Berlin, das Votum der Briten gebe die Chance, Europa so zu verändern, dass es mehr Zustimmung erhalte. Die EU sei zunehmend gespalten in den ärmeren Süden und den reicheren Norden. Es gehe nun darum, Europa zu „entgiften“.

Eine bessere EU-Politik mit Blick auf die hohe Erwerbslosigkeit unter jungen Menschen forderte auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU). In ihrem Video-Podcast sagte sie am Samstag, nötig seien Veränderungen „bei den Angeboten für die Jugend“. Merkel nannte als Schwerpunktthemen der EU „Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsplätze, Wachstum“, innere und äußere Sicherheit, die Terrorismusbekämpfung und den Schutz der europäischen Außengrenzen.

Derweil haben nach BBC-Schätzung etwa 40 000 Menschen am Samstag in London gegen einen britischen EU-Ausstieg protestiert. Viele meinen, die Brexit-Mehrheit am 23. Juni sei durch Falschinformationen und unehrliche Versprechen des Austritts-Lagers zustande gekommen. Das Parlament solle das Votum des Referendums aufheben, oder die Regierung solle in Brüssel keinen Antrag auf Austritt stellen. Königin Elizabeth II. rief zu Besonnenheit in schwierigen Zeiten auf.

Die derzeit verantwortlichen Politiker in London betonen, es gebe kein Zurück - das Votum von 17 Millionen Briten (rund 52 Prozent) für einen EU-Austritt müsse umgesetzt werden. Bei den Konservativen gilt Innenministerin Theresa May (59) als Favoritin für die Nachfolge von Premierminister David Cameron, der in den nächsten Monaten zurücktreten will. Die Politikerin hatte für den Verbleib in der EU plädiert, hielt sich aber im Wahlkampf eher bedeckt und präsentiert sich nun als Versöhnerin der zerstrittenen Parteiflügel. Die Abgeordneten beginnen am Dienstag mit dem Auswahlverfahren. Wenn zwei Kandidaten gefunden sind, können die Parteimitglieder abstimmen - bis Anfang September soll das Personalproblem gelöst sein.

Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), regte den Umbau der Kommission zu „einer echten europäischen Regierung“ an. Er schrieb in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Montag), diese Regierung solle „der parlamentarischen Kontrolle des Europaparlaments und einer zweiten Kammer, bestehend aus Vertretern der Mitgliedstaaten, unterworfen“ sein. Dies werde „politische Verantwortlichkeit auf der EU-Ebene transparenter machen“. Die EU solle sich nicht in Angelegenheiten einmischen, die national oder regional geregelt werden könnten, sondern sich auf jene Fragen konzentrieren, die Europas Staaten nur gemeinsam bewältigen könnten.