Der Brexit und die Folgen Bundestagsdebatte: Die ersten Wahlkampf-Süppchen köcheln schon
Bei der Sondersitzung im Bundestag in Berlin über den Brexit werden zwischen den Parteien Unterschiede deutlich - aber auch interne Unsicherheiten.
Berlin. Noch sind es nur feine Unterschiede, aber der Brexit lässt auch in Deutschland die politischen Gegensätze um Europa aufleben. Innerhalb der Großen Koalition zwischen Union und SPD, wie am Dienstag in der Bundestags-Sondersitzung deutlich wurde, aber auch in den Parteien selbst.
Da ist zum einen die Debatte um den Zeitpunkt des britischen Austrittsantrages. Die SPD findet es unerträglich, noch bis Oktober zu warten, wie Briten-Premier David Cameron offenbar vorhat. Dass Angela Merkel gesagt habe, sie verkämpfe sich nicht um ein paar Wochen, sei ein Fehler gewesen, konnte man bei den Genossen am Rande ihrer Fraktionssitzung hören. So verlängere sich die Zeit der Unsicherheit nur.
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sprach die Kanzlerin in seiner Rede sogar direkt an: "Drängen Sie beim Europäischen Rat darauf, dass schnell Klarheit geschaffen wird". Dieser Rat tagte seit Dienstagnachmittag in Brüssel, doch Merkel nannte die Debatte um das Datum des Austrittsantrages schlichtweg "eine innerbritische Entscheidung". Unions-Fraktionschef Volker Kauder rückte noch weiter vom Koalitionspartner ab: Er habe volles Verständnis, dass die Briten jetzt "in aller Ruhe" beraten müssten. "Bevormundung von außen ist nicht angemessen".
Merkel zeigte immerhin an anderer Stelle in ihrer Regierungserklärung auch Härte gegenüber den Briten: So lange der Austritt nicht beantragt sei, werde es keinerlei Gespräche mit London geben, auch keine informellen. Zudem werde sie "Rosinenpickerei" nicht zulassen. Dafür gab es großen Beifall.
Der zweite Koalitionskonflikt dreht sich um die Konsequenzen des Brexit für das künftige Europa. Generell vermissen die Sozialdemokraten hier einen "Impuls" der Kanzlerin, wie ihr Chef-Außenpolitiker Nils Annen auf Anfrage sagte. SPD-Chef Sigmar Gabriel war zusammen mit Europaparlaments-Präsident Martin Schulz hingegen schon am Freitag mit einem Zehn-Punkte-Programm vorgeprescht, ebenso Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der zusammen mit seinem französischen Außenminister Jean-Marc Ayrault ein Papier verfasst hatte. Tenor: Europa solle künftig mehr Verantwortung in Sachen Wirtschafts- und Währungsunion sowie in der Außen- und Sicherheitspolitik bekommen.
Angela Merkel aber hielt sich mit Reformvorschlägen zurück. Sie sagte, es gebe derzeit viele Ideen, "die sich zum Teil widersprechen". Die einen wollten mehr Europa, die anderen mehr Verantwortung für die Nationalstaaten. Sie finde, man brauche ein erfolgreiches Europa. Nur eine Terminvorgabe machte die Kanzlerin: Bis zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge im März 2017 solle ein Reformvorschlag stehen, sagte sie.
Bei den Konsequenzen haben die Sozialdemokraten freilich auch ein Problem mit sich selbst, genauer gesagt mit Gabriels Idee, die EU- Kommission zu einer echten Europa-Regierung zu machen und eine zweite Kammer einzurichten. Steinmeier hatte das gar nicht erst in sein Papier übernommen, denn so eine Institutionen-Reform dauert Jahre und sorgt sofort für Streit unter den verbliebenen 27 EU-Mitgliedern. Merkel sagte dazu nur, man dürfe jetzt nichts machen, was die "Fliehkräfte" in Europa bestärke.
Inzwischen hat Gabriel erklärt, er wolle doch keine Debatte über eine institutionelle Vertiefung der EU führen. Intern konnte man bei den Sozialdemokraten einiges Missfallen über dieses Hin und Her hören. Auch die Oppositionsparteien versuchen eigene Akzente zu setzen. Die Grünen verlangten einen "green new deal" für die EU, ließen aber unbestimmt, was das ist. Die Linken wiederum sind sich zwar einig, dass Europa einen "sozialen Neustart" braucht, wie Fraktionschefin Sahra Wagenknecht formulierte.
Internen Streit gibt es aber über Wagenknechts Forderung, auch in Deutschland Volksabstimmungen zu veranstalten, unter anderem über TTIP und die EU-Verträge. Der Co-Fraktionschef der Linken, Dietmar Bartsch, griff das in seiner Rede mit keinem Wort auf.