#titeltraum Ada Hegerberg — Norwegens Toptalent
Die norwegische Stürmerin Ada Hegerberg will gegen Deutschland ihre erstaunlichen Qualitäten zeigen.
Ottawa. Rache? Ada Hegerberg zuckt kurz zusammen. Das ist nicht die Begrifflichkeit, die die junge Fußballerin im Wortschatz führt. Und es sind auch nicht ihre Gedanken, wenn die Frauen-Nationalmannschaften von Norwegen und Deutschland sich nun im zweiten WM-Gruppenspiel in Ottawa duellieren. Nein, die Stürmerin mag keinen Grund dafür erkennen, warum es etwas wiedergutzumachen geben sollte, nur weil im EM-Finale 2013 eben Deutschland gegen Norwegen mit 1:0 gewann. „Die EM ist lange her, und wir haben seitdem schon wieder gegen Deutschland gespielt.“
Was aber ist mit den zwei versiebten Strafstößen von einst? Solveig Gulbrandsen, eine der beiden Fehlschützinnen („Ich schieße keinen mehr“), hat schon mal dankend abgelehnt, und auch Kapitänin Trine Rønning möchte nicht zwingend wieder antreten. Dazu dürfte sich Maren Mjede, die just gegen Thailand versagte, sich nicht sicher fühlen. Hegerberg aber würde zum Kreidepunkt gehen: „Natürlich trauen wir uns, gegen Nadine Angerer wieder Elfmeter zu schießen.“
So spricht eine gereifte wie selbstbewusste Persönlichkeit. Dabei wird sie doch erst am 10. Juli, fünf Tage nach dem WM-Finale, 20 Jahre alt. Das so bitter verlaufene EM-Endspiel bestritt sie — über die komplette Spielzeit — noch als 17-Jährige. Damals übrigens als Spielerin von Turbine Potsdam, denn im Dezember 2012 hatte sie sich mit Schwester Andrine dazu entschieden, den norwegischen Klub Stabæk FK zu verlassen und für anderthalb Jahre in Brandenburg zu unterschreiben. Sie lernte dort nicht nur schnell Deutsch, sondern Dinge fürs Leben. Speziell von der dort verwurzelten Trainer-Legende Bernd Schröder. Der Zeitung „Aftenposten“ sagte sie einmal, dass ihr die Umstellung nach dem Wechsel sehr schwer gefallen sei. Teilweise bis zu drei-, viermal Training am Tag („mehr Quantität als Qualität“) war das Toptalent nicht gewohnt, und manch Ansprache auch nicht. „Der Trainer schien aus ihrer Sicht von der alten DDR-Schule inspiriert“, schrieb kürzlich die „Aftenposten“. Was ja nachweislich stimmt.
Hegerberg selbst blickt jetzt lieber nach vorne. „Ich glaube fest daran, dass man seinen Spielstil immer weiter verbessern muss, um in der Weltspitze dabei zu sein.“ Das klingt wie abgesprochen mit ihrem Lehrmeister. Even Pellerud, für die Geschicke der „Gresshoppene“ (Grashüpfer) verantwortlich, will in seinem Team „mehr Power und Dynamik“ entdecken, die dem Nationaltrainer die Möglichkeit zu „neuen Varianten“ geben. Vor allem in vorderster Linie. „Ich bin wirklich froh, dass ich nur im Training gegen sie spielen muss: Ada ist extrem schnell und kraftvoll“, lobt die für den FC Bayern spielende Nora Holstad, die dem Gegner immer nur den Rat geben kann, „dass sie am besten zwei Spielerinnen gegen Ada stellen“.
Wie zum Beleg rannte Norwegens Nummer 21 bei ihrem WM-Debüt der überforderten thailändischen Abwehr gleich mehrfach auf und davon und markierte schlussendlich das 4:0. „In meinem ersten WM-Spiel gleich mein erstes WM-Tor zu schießen, war schon einmal ein Traum.“ Und doch soll es ja nur der Anfang sein für eine, die alles mitbringt, was eine moderne Angreiferin ausmacht. Sie pflegt einen aggressiven Stil und vorausgabt sich bis an den Anschlag — und das fast erschreckend verlässlich auf hohem Niveau. Beidfüßiger Abschluss und athletischer Körper kommen dazu, denn noch immer schiebt sie bei Heimatbesuchen mit dem Vater, einem ehemaliger Fußballer, stundenlange Extraschichten. Von nichts kommt nichts.
Für Olympique Lyon erzielte Hegerberg in 22 Liga-Spielen 26 Treffer, gewann Meisterschaft und Pokal und drehte dem mit den deutschen Nationalspielerinnen Fatmire Bajramaj, Annike Krahn und Josephine Henning angetretene Konkurrent Paris St. Germain zumindest national eine lange Nase. „France Football“ kürte Hegerberg zur „Sensation des Jahres.“ Die französische Kultur hat sie auf Anhieb aufgesogen; es kommt ihr entgegen, der individuellen Persönlichkeit trotz kollektiver Zwänge mehr Freiraum zu lassen. „Ich fühle mich in Lyon pudelwohl“, versichert die Hoffnungsträgerin und verschwendet nicht einen Gedanken daran, noch einmal mal nach Deutschland zurückzukehren, auch wenn es in der Frauen-Bundesliga ausgeglichener zugehe. „Dafür sind unsere Duelle zwischen Lyon und PSG qualitativ top.“ Für den WM-Klassiker zwischen Norwegen und Deutschland müsste das eigentlich ebenso gelten. Und das ganz ohne Rache.