#titeltraum Hope Solo: The Lady in Red

Niemand steht bei dieser Frauen-WM so unter Druck wie Hope Solo: Nach weiteren Enthüllungen meistert die umstrittenste Torhüterin der Welt die ersten Prüfungen fürwahr meisterhaft.

Foto: Friso Gentsch

Ottawa/Winnipeg. Wer bitte hatte Hope Solo bloß diese Arbeitskleidung ausgesucht? Vermutlich ist die Exzentrikerin unter der Latte in diesem speziellen Falle wirklich absolut unschuldig, aber mit der Farbenwahl für den Auftaktsieg des US-Teams gegen Australien (3:1) war die Assoziation ja unvermeidlich: knallrote Kluft nach einem Vorspiel voller Knalleffekte. Die Startorhüterin als „The Lady in Red“.

Aber während im amerikanischen Gangsterfilm von Lewis Teague die Rolle von Anna Saga wenigstens klar definiert ist, verhält es sich bei Hope Solo viel widersprüchlicher. Engel oder Biest? Darüber ist im Vor- und Nachlauf der Partie in den nordamerikanischen Sportsendern mit Feuereifer gestritten worden.

Die einen betonen, die Keeperin mit den Katzenaugen sei mit ihren Skandalen im US-Sport längst untragbar. Die anderen beteuern, die Torfrau sei mit ihren Klassereaktionen für die US-Girls weiter unverzichtbar. Die 33-Jährige antwortete am Montagabend auf dem Kunstrasen von Winnipeg auf ihre Art: Selbst Megan Rapinoe reichte ihre Auszeichnung zur „Spielerin des Spiels“ umgehend weiter: „Hope hat uns großartig im Spiel gehalten. Das waren drei Paraden, die sonst niemand auf der Welt drauf hat“, schwärmte die Doppeltorschützin überschwänglich. Vor allem offenbarte die Grenzgängerin Hope Solo in ihrem 166. Länderspiel, den imaginär dicksten Schutzpanzer aller WM-Spielerinnen zu besitzen.

Denn einen Tag zuvor hatte ausgerechnet der ansonsten dem US-Verband gewogene Sender ESPN aus geheimen Gerichtsunterlagen zitiert, die detailliert die Pöbeleien gegenüber Polizisten bei ihrer Festnahme im vergangenen Jahr behandelten. Wieder ging es um den Familienstreit, bei dem Hope Solo ihre Halbschwester Teresa Obert und deren damals 17 Jahre alten Sohn verprügelt haben soll.

Die der häuslichen Gewalt beschuldigte Ballfängerin versuchte später per TV-Inszenierung, die Täter-Opfer-Rollen zu tauschen. Nun sind angeblich neue Informationen aufgetaucht, dass sie eben doch die Auslöserin der Aggressionen gewesen sein soll. Gut möglich, dass das eingestellte Gerichtsverfahren bereits im Juli neu aufgerollt wird. Verbürgt zudem, dass sie im Januar des Jahres auf dem Beifahrersitz hockte, als ihr Ehegatte Jerramy Stevens betrunken einen Van mit dem Logo des US-Teams steuerte — der Verband brummte ihr daraufhin eine 30-tägige Denkpause auf.

Doch nun geben sich alle jener Abwehrhaltung hin, der sich auch die Torhüterin („Ich bin vollkommen fokussiert“) befleißigt. Ihre Teamchefin Jill Ellis, die wie die Funktionäre das Thema komplett von der Mannschaft fernhalten möchte, sagte in der Pressekonferenz zur Causa Hope Solo: „Ich habe sie umarmt und ihr gesagt: Du hast dir eine Umarmung verdient. Sie hat den Unterschied gemacht.“ Und ihre Zimmerkollegin Carli Lloyd versicherte: „Ich diskutiere mit ihr darüber keine Sekunde.“

Mag ja sein, aber bislang wird im Nachgang eines WM-Spiels beinahe jede Nationaltrainerin dazu verhört. „Auch wir haben extravagante Spielerinnen“, antwortete daraufhin Silvia Neid, „aber sie sind nicht so viel auf Party wie Hope Solo.“ Ehe sie zu weiteren Ausführungen ansetzte, biss sich die Bundestrainerin lieber auf die Zunge. Selbst hierzulande ist Hope Solo mittlerweile ja berühmt. Zu bewegend ihre Vita, zu betörend ihre Aura. Am Ende der WM 2011 gab es auch in Deutschland kaum ein Medium, das nicht ihre Familiengeschichte — ihr Vater war ein zeitweise obdachloser Vietnamveteran, der vor acht Jahren verstarb — erzählte.

Dazu kamen die vielen Tränen der 1,75-Meter großen Modellathletin, die sie zweimal nach einem Elfmeterschießen vergoss. Erst nach dem gewonnenen Krimi im Viertelfinale gegen Brasilien in Dresden, wo sie ihre Ausbootung von der WM 2007 sühnte. Dann nach dem verlorenen Drama im Finale gegen Japan in Frankfurt, wo der Goldtraum platzte. Gleichwohl blieben Bilder mit Plakaten wie diesem in Erinnerung: „Hope, marry me, I’m Solo“.

Doch die Rolle als heiratenswerte Stilikone, die allerorten eine Vorbildfunktion zu entfalten wusste, kann sie nicht mehr spielen. Unter den Werbefiguren, die für einen FIFA-Sponsor omnipräsent in allen Kanälen auftreten, befindet sich ihre Teamkollegin Abby Wambach. Und Deutschlands Kapitänin Nadine Angerer. Nicht aber Hope Solo. Als Testimonial hat sie bereits ausgedient. Als Torhüterin noch nicht.