#titeltraum Eine WM der Kontraste - wo steht die deutsche Mannschaft?
Nach dem 10:0-Auftaktsieg wartet am Donnerstag mit Norwegen ein harter Brocken auf die deutsche Elf.
Ottawa. Ein bisschen Abkühlung kann ja nicht schaden. Aber muss es deswegen gleich Bindfäden regnen? Als die deutschen Fußballerinnen am Tag nach ihrem torreichen WM-Auftakt aus den Betten krochen und die Vorhänge aufzogen, zeichnete sich das meteorologische Kontrastprogramm zu den Vortagen ab. Kühles Schauerwetter statt schwülwarmer Witterung. Aber ist das nicht ohnehin die Losung, sich jetzt umzustellen?
Das Scheibenschießen gegen die Elfenbeinküste (10:0) gehört abgehakt, um sich auf die nächste Herausforderung gegen Norwegen am Donnerstag (22.00 MESZ/ARD) einzustellen. Gegen die Skandinavierinnen werde alles anders, weiß Bundestrainerin Silvia Neid. „Gegen die Elfenbeinküste konnten wir leicht in freie Räume spielen. Norwegen ist mit allen Wassern gewaschen, sie sind taktisch flexibel und haben viele Facetten.“
Für die 51-Jährige steht fest: „Das wird ein enges Match.“ Anders als gegen den überforderten Novizen. „Wir sind nicht so blauäugig, dass wir diesen Sieg überbewerten“, versprach Torfrau Nadine Angerer nach dem zweithöchsten WM-Sieg aller Zeiten. Es scheint speziell in der Gruppe B dieser WM zu bizarren Begegnungen zu kommen. Zwei Großmächte führen die Kleinen vor und sorgen für bisweilen skurrile Bilder. Bezeichnend, wie nach Schlusspfiff die deutsche Abwehrchefin Annike Krahn ihrer eingewechselten ivorischen Kollegin Ines Nrehy die Krämpfe aus den Waden schüttelte.
Nur solle niemand glauben, dass die Siegerinnen auf dem stumpfen Kunstrasen das alles ohne Schrammen hinbekommen hatten. Der Auftritt der Dreifach-Torschützin Anja Mittag auf der Pressekonferenz nach der Prämierung zur Spielerin des Spiels sprach Bände, am Schienbein zeichneten sich große blutige Stellen ab. Eingedenk von 29 Fouls und sechs Gelbe Karten sei sie heilfroh, „dass wir noch so gut davongekommen sind.“
Bei Melanie Leupolz wurde allerdings eine Schambeinprellung mitsamt Leistenproblemen diagnostiziert. Mehr denn je ist Neid bei ihrer finalen WM-Mission auf gereifte Kräfte wie Anja Mittag angewiesen, um den anvisierten Turnier-Marathon von sieben Spielen in Kanada durchzuhalten. Wer die Fortentwicklung der DFB-Auswahl seit der verpatzten Heim-WM betrachtet, der kommt an Mittag gar nicht vorbei. 2011 wurde die Angreiferin noch aus dem Kader gestrichen.
Der Wandel setzte vor drei Jahren mit dem Wechsel von Potsdam nach Malmö ein. Nächsten Sommer zieht sie vom FC Rosengard zu Paris St. Germain weiter, „und ich gehe da nicht hin, weil ich dort das Doppelte oder Dreifache verdiene“, sagt sie. Fest steht, dass ihr die Luftveränderung gut getan hat. „Seitdem sie im Ausland ist, hat sie an Persönlichkeit gewonnen“, lobt Neid die Siegtorschützin aus dem EM-Finale 2013.
Dass nach dem damaligen 1:0 gegen den kommenden Gegner Norwegen oft Angerer als alleinige Matchwinnerin galt, findet Mittag gar nicht schlimm. „Die zwei Elfmeter waren ja wirklich gut gehalten.“ Es ist eine besondere Form von Pragmatismus, die es für solch eine Haltung braucht. Sie nimmt vieles hin, sie beklagt sich nicht. Auch nicht bei Regen.