Mission Gold: Russlands Olympia-Team unter Druck

Sotschi (dpa) - Versagen verboten: Bei den ersten Winterspielen unter Palmen steht Olympia-Gastgeber Russland in den spektakulären Wettkampfstätten von Sotschi unter besonderem Druck.

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„Wir zählen auf Sie, und wir hoffen auf Sie“, spornt Kremlchef Wladimir Putin vor Beginn der Wettkämpfe am Freitag die nominierten Sportler an. Für Putin ist das Ringe-Spektakel auch „Ausdruck eines neuen Russlands“. Die Rekordsumme von umgerechnet rund 37,5 Milliarden Euro lässt sich das Riesenreich seine zweiten Olympischen Spiele nach den Wettkämpfen im Sommer 1980 in Moskau kosten. Damals war das Sportereignis vom Boykott westlicher Staaten überschattet.

Diesmal hat der Kremlchef den Austragungsort am Schwarzen Meer persönlich ausgesucht und will nun auch sportlich die Dividende einfahren. „Machen Sie alles Menschenmögliche, damit bei der Siegerehrung unsere Hymne oft zu hören ist“, fordert Putin.

Für einen Erfolg beschwören die Organisatoren nicht nur alles „Menschenmögliche“ - auch himmlischer Beistand soll helfen. So reiste der russisch-orthodoxe Patriarch Kirill eigens nach Sotschi, um kurz vor Beginn der Wettkämpfe in einer neuen Erlöserkirche Athleten des Gastgeberlands zu segnen. Gott schaue mit „Wohlgefallen“ auf die Olympischen Spiele in Sotschi, behauptete Kirill. Die russischen Athleten sollten sich davon zu Höchstleistungen inspirieren lassen.

Vier Jahre nach dem Fiasko von Vancouver, als die Wintersport-Weltmacht bei Olympia bitter enttäuschte, schickt Russland die nationale Rekordzahl von 223 Athleten in die Heimspiele. „Selbst zu Sowjetzeiten gab es keine so beeindruckende Mannschaft“, schwärmt Russlands NOK-Chef Alexander Schukow. Alles soll in Sotschi besser werden als 2010: Damals waren die Winterspiele mit nur dreimal Gold ein historisches Debakel für das größte Land der Erde.

Die Erwartungen sind riesengroß: Mehr als die Hälfte der Russen traut einer Umfrage zufolge ihrer Mannschaft in Sotschi Platz eins in der Medaillenwertung zu - vor China, den USA und Deutschland. Den Spitzenplatz bei Winterspielen hatte Russland zuletzt 1994 in Lillehammer erreicht, mit elfmal Gold. „Etwas überzogen“ seien die Erwartungen für Sotschi, meint Sportminister Witali Mutko. „Der dritte Platz wäre ein ganz hervorragendes Ergebnis“, sagt er.

Dass Mutko noch im Amt ist, verdankt er vermutlich auch seinen guten Beziehungen zu Putin. Abgeordnete der Staatsduma hatten ihn als Hauptschuldigen für den peinlichen Auftritt in Vancouver ausgemacht und vehement seine Ablösung gefordert. Tiefpunkt damals: die 3:7-Niederlage der Sbornaja im Eishockey-Prestigeduell mit Gastgeber Kanada. Die magere Ausbeute von 15 Medaillen frustrierte die Russen.

Auch vor dem Hintergrund dieser Erfahrung appellieren Experten wie der für die russischen Biathletinnen tätige Trainer Wolfgang Pichler dringend an Moskau, über die Winterspiele hinaus zu denken. „Ich höre immer nur „Sotschi, Sotschi“, aber es ist notwendig, ein System der Talentsuche und Ausbildung aufzubauen“, sagte der Ruhpoldinger der russischen Fachzeitung „Sport Express“.

Nach dem Leistungsknick nach dem Ende der Sowjetunion könnten nun die Wettkämpfe am Schwarzen Meer für einen Aufschwung sorgen. „Die Sotschi-Spiele können für Russland die gleiche erfrischende Wirkung haben wie die Fußball-WM 2006 für Deutschland“, meint Pichler.

Wie immens wichtig die Veranstaltung in dem Kurort für den Gastgeber ist, zeigt der jüngste Dopingskandal. Nach einer positiven A-Probe zog sich Russlands beste Biathletin Irina Starych aus dem Team zurück. Sportfunktionäre in Moskau sprachen daraufhin von „internationaler Verschwörung“, um „unsere Spiele“ zu stören. Pichler hält das für absurd. „Das ist eine besondere russische Mentalität - davon auszugehen, dass die ganze Welt gegen Russland ist.“