Rios Sorgenkind 2016: Olympisches Segeln in der Kloake?
Rio de Janeiro (dpa) - Ruhig schaukeln die Segelboote im sanften Auf und Ab der Wellen in der Bucht vor Rios Botafogo-Strand. Sie liegen vor Anker, meist am Wochenende stechen sie zu Segeltörns in See.
Der Blick auf Rio vom Meer aus ist atemberaubend.
Völlig zu Recht heißt die Stadt, die in etwas mehr als 500 Tagen die Olympischen Spiele ausrichtet, „Cidade Maravilhosa“ - „Wunderbare Stadt“. Die Bauarbeiten für die Spiele sind in vollem Gang, doch das Sorgenkind war, ist und bleibt das olympische Segelrevier, die „Baía de Guanabara“. Das Wasser ist dreckig und könnte die Segelfreude trüben.
Die Bucht, die sich an den Zuckerhut und den Nordosten der Atlantik-Stadt anschmiegt, ist ein Auffangbecken für gigantische Abwassermengen, die völlig ungefiltert eingeleitet werden. Fäkalien, Spülwasser, illegale Einleitungen von Unternehmen und Krankenhäusern - alles ist dabei. Kürzlich wurde im benachbarten Strandabschnitt von Botafogo, am „Praia do Flamengo“, ein antibiotikaresistentes Superbakterium entdeckt. Wie heiß es auch sein mag: Kein Mensch kommt an den beiden wunderschönen Stränden auf die Idee, ins Wasser zu gehen. „Wenn Sie das tun, riskieren Sie ihre Gesundheit“, sagt der Biologe Mario Moscatelli, der seit Jahren die Missstände anprangert.
In die riesige Bucht münden über 40 kleine Flüsse. Alle laufen unter der Stadt, sind einbetoniert und für die Guanabara-Bucht schon lange eine Zeitbombe. „Mindestens 39 Flüsse sind wegen der Einleitungen tot, das heißt, ihr Wasser ermöglicht kein Leben mehr“, berichtet der 50-jährige Moscatelli. Seit einhalb Jahrzehnten fühlt er quasi den Puls der Bucht, die er regelmäßig per Hubschrauber überfliegt. Er rät den Athleten, die 2016 nach Rio kommen klipp und klar: „Fallen Sie nicht ins Wasser! Lassen Sie sich gegen Hepatitis A impfen!“ Schwerste Vorwürfe erhebt er gegen die Behörden, die schon beim Zuschlag für die Spiele um die Probleme gewusst hätten. „Schon damals war klar, die Guanabara-Bucht ist eine Latrine, ein Umwelt-Chaos. Es fehlt einfach der politische Wille.“
Das Thema steht bei jedem Besuch der IOC-Koordinierungskommission auf der Agenda. Kommissionschefin Nawal El Moutawakel versichert ein und ums andere Mal, dass die lokalen Organisatoren zu ihrem Versprechen stünden, die Bucht zu säubern. So hörte es auch IOC- Präsident Thomas Bach vor zwei Wochen in Rio. Bis 2016 will der Gastgeber 80 Prozent der eingeleiteten Abwässer sanitär behandeln. „Die 80 Prozent wurden uns genannt, und wir hoffen, dass dies erreicht wird“, so Moutawakel.
Der Biologe Moscatelli - ein überzeugter Carioca, wie Rios Einwohner heißen - hofft das auch. Er hat aber starke Zweifel, dass eine Säuberung der Bucht bis 2016 gelingen kann. Das wird seit Jahrzehnten versucht und würde Jahrzehnte dauern. „Es wurden schon Milliarden ausgegeben, doch es ist nichts besser geworden“, kritisiert der Wissenschaftler, der immer wieder mit Journalisten zum „Canal do Fundão“ hinausfährt, an dem Touristen und Einheimische auf ihrem Weg vom internationalen Flughafen in die Stadt vorbeifahren. Dort bietet sich ein katastrophales Bild.
In den Mangrovenwäldern am Kanalufer sind Müllhalden angeschwemmt. Abfälle, die die Bewohner von illegal ausgebauten Favelas, Armensiedlungen, einfach in den Fluss werfen, der den Müll zunächst weg-, am nächsten Ufer aber wieder anspült. Sofas, Fernseher, Schuhe, zahllose Plastiktüten, Ventilatoren, Reifen, Matratzen, Stühle und Unmengen von zerborstenen Styropor-Kisten liegen im morastigen und stinkenden Schlamm am Ufer. All das kann bei starkem Regen und entsprechenden Windverhältnissen raus in die Guanabara-Bucht getrieben werden.
Direkt am Kanal ragt die gigantische Kläranlage „Alegria“ (Freude) empor, die aber nur zu 50 Prozent ausgelastet sei, erzählt Moscatelli und nennt auch gleich den Grund: „Es gibt nicht genug Abwassermengen, weil man die Zuleitungen nicht gelegt hat.“ Er schließt das Risiko nicht aus, dass bei den Segelwettbewerben die Boote mit treibendem Müll kollidieren könnten, auch wenn die Routen weiter auswärts liegen. Aber er warnt: „Der Müll hält sich an keine Wettbewerbsregeln.“