Jaroslawl-Katastrophe wirft Schlaglicht auf KHL
Moskau (dpa) - Weinende Fans, fassungslose Funktionäre, ein bekümmerter Staatschef: Der Flugzeugabsturz der Eishockey-Mannschaft Lokomotive Jaroslawl hat Russland in tiefe Trauer gestürzt.
„In Jaroslawl braucht jeder Mensch nur drei Dinge zum Leben: eine Frau, ein Kind - und Lokomotive“, sagte der Fan Juri dem Staatsfernsehen und legte in der Stadt rund 280 Kilometer nordöstlich von Moskau Blumen vor dem Vereinsheim nieder. Landesweit ließen Anhänger des russischen Nationalsports ihrem Schmerz über die Tragödie, bei der auch der deutsche Nationalspieler Robert Dietrich starb, freien Lauf. In die Trauer über die 43 Toten mischt sich aber auch Kritik.
Immer wieder hatten russische Medien in den vergangenen Jahren „Taten statt Worte“ in der ehrgeizigen Kontinentalen Eishockey-Liga KHL angemahnt. Zwar verspreche KHL-Präsident Alexander Medwedew ein „modernes Flair“ der Liga, aber viele Vereine hätten immer noch marode Hallen oder veraltete Flugzeuge. Die Jak-42 von Lokomotive war fast 20 Jahre alt. „Das Gehalt ist ansehnlich, aber das Stadion ist sogar älter als ich“, kommentierte der tschechische Weltklassespieler Dominik Hasek (46) einmal - Hasek stand zum Sommer im Tor von Spartak Moskau. Spartaks 1956 errichteter Betonbau im Sowjetstil ist kein Einzelfall.
Zwar biete die KHL viele Akteure auf Weltniveau, aber westliche Vereine würden längst in „Eispalästen“ mit Videowürfel, Lasershow und Mitklatschmusik spielen, schrieb die Zeitung „Sport Express“ unlängst. Dieser Kontrast sei typisch, meinen Beobachter. Obwohl Russland eine Rohstoffmacht sei, leide das größte Land der Erde an einer maroden Infrastruktur. So fehle es nicht nur an neuen Sportarenen wie Fußballstadien für die WM 2018 oder Eishallen, sondern auch etwa an Straßen und Hotels.
Immer wieder hatte Präsident Dmitri Medwedew, der Blumen an der Absturzstelle niederlegte, eine Modernisierung des Riesenreichs beschworen. Doch auch deutsche Unternehmen in Russland stöhnen über Bürokratie, Schmiergeldkultur und Zollprobleme. Auch die KHL bleibe „ein Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit“, kommentierte der Radiosender Echo Moskwy.
Einer der schwärzesten Tage in der Geschichte des russischen Sports sollte eigentlich ein einziges Fest werden. Zum Saisonstart wollte die mit Millionen aus dem Energiegeschäft gesponserte KHL feiern, dass künftig der slowakische Club HC Lev Poprad als erster Verein außerhalb der früheren Sowjetunion in der Liga antritt. Diese „West-Erweiterung“ hatte KHL-Chef Alexander Medwedew stets als Ziel ausgegeben.
Doch wegen der Katastrophe musste Medwedew unter Tränen das Eröffnungsspiel zwischen Titelverteidiger Ufa und Vizemeister Mytischtschi abbrechen und die Fans nach Hause schicken. Die verwaisten Tribünen seien „ein Symbol der traurigen Leere“, die viele Eishockey-Fans spüren, sagte der Kommentator des russischen Fernsehens mit belegter Stimme.