Interview Wladislaw Tretjak: "Olympia ohne NHL-Profis ist nicht im Sinne
Der frühere Weltklasse-Torhüter ist seit 2006 Präsident des russischen Eishockey-Verbandes. Während der WM in Köln empfing er unsere Zeitung zu einem Gespräch.
Köln. Freundlich und mit einem festen Händedruck empfing Wladislaw Tretjak am vergangenen Dienstag in der Kölnarena unsere Zeitung in seiner Loge. Der 65-Jährige freute sich bereits auf das WM-Spiel gegen die USA, doch als Präsident des russischen Eishockey-Verbandes nahm er sich wie versprochen noch ein paar Minuten Zeit. Höflich beantwortete der als "Mann mit den tausend Händen" bekannte weltbeste Torhüter der 70er- und 80er-Jahre unsere Fragen.
Herr Tretjak, gleich spielt Russland gegen die USA. Ist das für Sie nach wie vor eine ganz besondere Partie?
Wladislaw Tretjak: Sie meinen sicher wegen 1980. Nein, nach jetzt 37 Jahren ist das einfach nur noch ein Stück Geschichte unserer großartigen Sportart. Ich habe Respekt vor dem, was das Team der USA hier bei der WM leistet. Alles andere ist uninteressant.
Was hat Ihnen denn beim "Wunder von Lake Placid" 1980 mehr weh getan? Dass der übermächtige Favorit UdSSR durch das 3:4 gegen die lediglich aus College-Spielern bestehende Mannschaft der USA die Gold-Medaille bei den Olympischen Spielen verlor oder dass Sie von Trainer Viktor Tichonov ausgewechselt wurden?
Tretjak: Beides gleichermaßen. Die Amerikaner haben uns damals eine Lektion erteilt. Aber ich glaube nach wie vor, dass wir trotz meines Fehlers beim zweiten Gegentreffer nicht verloren hätten, wenn ich auf dem Eis geblieben wäre.
Tichonov verbot Ihnen vier Jahre später dann auch noch den Wechsel zu den Montreal Canadiens, von denen Sie 1983 gedraftet worden waren...
Tretjak: So ist die Welt des "Eisernen Vorhangs" nun einmal gewesen. Ich war Spieler bei ZSKA Moskau - dem Sportklub der Roten Armee - und damit Soldat. Das System hat es Soldaten einfach verboten, ausreisen zu dürfen. Immerhin habe ich 1999 dann aber noch als Torwart-Trainer der Chicago Blackhawks arbeiten können.
Dennoch verbindet Sie bis heute aber vor allem eine große Freundschaft mit Kanada ...
Tretjak: Weil diese Nation allen Eishockey-Legenden eine besonders große Ehre erweist. Deshalb habe ich mich auch um gute Beziehungen zwischen Russland und Kanada bemüht. Dafür wurde mir 2006 als bisher einzigem ausländischem Sportler sogar eine Medaille verliehen.
Zu ihrer Zeit konnte die russische Nationalmannschaft von so gut wie keinem Fan begleitet werden. Wenn Sie die vielen russischen Anhänger und die tolle Stimmung hier in der Kölnarena sehen, möchten Sie dann statt früher nicht viel lieber jetzt im Tor stehen?
Tretjak: Ach, ich durfte dem Eishockey damals professionell nachgehen. Also waren die damaligen Zeiten absolut okay für mich. Aber heutzutage wären sie natürlich perfekt. Die Atmosphäre hier ist einfach fantastisch.
Ist Russland WM-Favorit?
Tretjak: Unser Team spielt gut und für die Zuschauer schön anzusehen. Aber locker gewinnen kann hier keiner. Wir müssen uns auf jeden Gegner ernsthaft vorbereiten.
Was halten Sie von der deutschen Mannschaft?
Tretjak: Zunächst einmal unterhalte ich eine gute Beziehung zu Franz Reindl, wir haben ja schließlich früher auch gegeneinander gespielt. Es sah gut aus, wie das deutsche Team aufgetreten ist. Allerdings braucht es gegen die Top-Nationen natürlich immer einen guten Torwart und ein klein wenig Glück.
Es klingt unglaublich, aber seit 1992 hat Russland bei Olympischen Spielen kein Gold mehr geholt. Ist es 2018 endlich wieder soweit?
Tretjak: Das wäre gerade für mich als Präsident natürlich ein Traum. Weltmeister sind wir jetzt schon 27mal geworden, aber ein Olympia-Sieg... der ist etwas ganz Besonderes.
Wenn die NHL ihre Profis nicht frei gibt, dann steigen Russlands Chancen durch die vielen guten Spieler aus der heimischen Liga ...
Tretjak: Das wäre aber nicht im Sinne des Eishockey. Es ist besser, wenn allen Spielern erlaubt wird, nach Südkorea zu reisen. Dann sind die Mannschaften viel stärker und das Turnier erfährt eine enorme Aufwertung.
Abschließend noch ein Blick zum Fußball. Bedeutet die Austragung der Weltmeisterschaft in Russland im nächsten Jahr eine Gefahr für das Eishockey?
Tretjak: Nein, der Fußball ist für uns wenig gefährlich. Wir müssen nicht gegen ihn ankämpfen. Eishockey ist in Russland die klare Sportart Nummer eins.