Erleuchte uns, Kaiser Franz!
Wie bei den Würdenträgern der katholischen Kirche gibt es auch im Fußball klare Hierarchien. Unten steht die Elf des Spieltags, darüber kommt der Orden derer, die den Adler tragen, die WM-Legenden sind die nächsthöhere Abteilung und über allem schwebt - analog zum Papst - die Lichtgestalt.
Unter dem Begriff Lichtgestalt wurde bis zum 11. September 1945 noch eine hell strahlende Engelserscheinung verstanden. Doch an jenem Tag erblickte Franz Anton Beckenbauer in einem Stall bei München das Licht der Welt - und saugte es quasi in sich auf. Doch, wie Heilige nunmal so sind, er behielt den Glanz nicht für sich. Bis heute teilt er ihn als zweimaliger Weltmeister mit uns. Immer wenn in einem Fernsehstudio das Licht angeschaltet wird, erscheint der Kaiser des Fußballs und erleuchtet uns mit Weisheit.
Er spricht wie der Papst alle Sprachen. Sogar französisch, was er in den 1990er-Jahren bewies, als "Japapapän" bei den Bayern spielte. Jahre später schenkte er seinen Jüngern ein Sommermärchen, schaffte den Sprung ins Metaphysische und war in allen WM-Stadien Deutschlands zeitgleich präsent. Was der Kaiser sagt, ist Gesetz - bis zu seiner nächsten Äußerung. Die Nation hängt an seinen Lippen. Doch er beansprucht keine päpstliche Unfehlbarkeit, auch nicht was christlich-moralische Treuevorstellungen angeht. Die Beckenbauersche Glaubenslehre ist sympathisch, tut nicht weh und muss nicht ganz ernst genommen werden. Also: "Erleuchte uns noch viele Jahre, Kaiser Franz!"