Borussia Mönchengladbach Wie Fußball die Geschichte verändert: Gladbachs Reise nach Israel

Mönchengladbach · Vor 50 Jahren leistete Borussia Mönchengladbach mit ihrer Reise nach Israel und einem begeisternden Fußballspiel einen wichtigen Beitrag zur Annäherung beider Länder.

Gladbachs Kapitän Günter Netzer (l.) und Mordechai Spiegler tauschen vor dem Spiel am 25. Februar1970 die Wimpel.

Foto: Gebrüder Beetz Filmproduktion

Es war eine Reise ins Ungewisse, ein Flug in eine unbekannte Welt: Als erste deutsche Fußballmannschaft reiste Borussia Mönchengladbach vor 50 Jahren nach Israel. Am 25. Februar 1970 war das Bloomfield-Stadion in Tel Aviv bis auf den letzten Platz gefüllt, als Günter Netzer und sein Gegenüber Mordechai Spiegler, die Kapitäne von Borussia Mönchengladbach und der israelischen Nationalmannschaft, die Wimpel tauschten. 22 000 Zuschauer sind gespannt auf das Bundesliga-Spitzenteam aus Mönchengladbach, angeführt von Erfolgstrainer Hennes Weisweiler. Auf der Gegenseite gab kein Geringerer als der hoch angesehene israelische Coach Emanuel Schaffer die Kommandos an der Linie.

Manager Grashoff: „Es war mehr als ein kleiner Schritt dorthin“

Die Begegnung zwischen beiden Teams, das Freundschaftsspiel von Tel Aviv, ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Naziterrors und der Gräueltaten des Holocaust war der Beginn einer bis heute reichenden engen Verbindung zwischen dem israelischen Fußballverband und Borussia Mönchengladbach, geprägt von behutsamen Annäherungsversuchen und der Hoffnung, mit Fußball ein wenig zur Aussöhnung beizutragen. „Es war mehr als ein kleiner Schritt dorthin“, sagte seiner Zeit der Manager der niederrheinischen Borussia, Helmut Grashoff, „wir kehrten mit dem schönen Gefühl heim, eine wichtige Mission erfüllt zu haben.“

Die Trainer-Witwen Gisela Weisweiler und Shoshanna Schaffer bei ihrem Wiedersehen in Tel Aviv.

Foto: Bea Müller / Gebrüder Beetz Filmproduktion

Begonnen hatte alles mit der Freundschaft zweier Männer, Hennes Weisweiler (gest. 1983) und Emanuel Schaffer (gest. 2012). Der Israeli Schaffer war nach den Wirren des Krieges, dem Verlust seiner Eltern und weiterer Familienangehörigen durch das Nazi-Regime über Umwege in Deutschland gelandet. Schaffer war Mitte 30, als sich die Wege der leidenschaftlichen Fußballer zum ersten Mal kreuzten. Weisweiler dozierte an der Sporthochschule Köln, Schaffer wollte das Trainer-Diplom schaffen und stand fortan unter den Fittichen des Meistertrainers. 1959 hielt er die Urkunde in den Händen. „Ich konnte mir nichts Besseres vorstellen, als beim Besten zu lernen“, hat Schaffer einmal im Rahmen eines Besuchs am Gladbacher Bökelberg gesagt.

Gisela Weisweiler wiederum erzählte des Öfteren in bewegenden Worten, wie sich „Eddi“ Schaffer ihrem Mann anvertraut habe, wie interessiert sich andererseits „Hennes“ in Bezug auf das Schicksal seines Schülers gezeigt habe, der dem Holocaust entkommen war. „Eddi hat sich meinem Mann gegenüber immer wieder geöffnet, und Hennes hat aufmerksam zugehört.“ Dass es Weisweiler, der mit Borussia Mönchengladbach dreimal Deutscher Meister wurde, ein besonderes Anliegen war, die Kontakte zu Eddi Schaffer aufrecht zu erhalten, bedarf keiner Frage.

Spektakuläres Spiel im Bloomfield-Stadion von Tel Aviv

Die Freundschaft hielt lebenslang. Und so begann im Sommer 1969 eine Serie von inzwischen 27 Begegnungen zwischen Borussia Mönchengladbach und dem Nationalteam Israels oder einer Vereinsmannschaft des Landes. Der Auftakt fand am 12. August im inzwischen abgerissenen Bökelberg-Stadion statt (Endstand 3:0). Gut ein halbes Jahr später folgte das spektakuläre Spiel in Tel Aviv, das nach einem denkwürdigen Abend mit einem 6:0-Sieg der Deutschen zu Ende ging. „Vivat, Germania“ – stand in großen Lettern auf einem ausgerollten Banner. Doch der enthusiastische Beifall galt beiden Mannschaften, den großartig aufspielenden Akteuren der Borussia und dem Gastgeber, dem Nationalteam Israels. Zwei Monate später wurde Gladbach zum ersten Mal Deutscher Meister, während die Israelis sich erstmals für eine Fußball-WM qualifizierten und mit zwei Unentschieden in der Vorrunde – gegen Italien und Schweden – in die Heimat zurückkehrten.

Vorab-Präsentation in der Fohlen Welt mit Spielern von damals

50 Jahre später hat sich ein Team der „Gebrüder Beetz“-Filmproduktion auf Spurensuche begeben und dieses denkwürdige Ereignis in einem sehenswerten 45-minütigen Stück dokumentiert: „Geheimmission Tel Aviv – wie Fußball die Geschichte veränderte“.

Israels Fußball-Legende Mordechai Spiegler im heutigen Bloomfield Stadion in Tel Aviv.

Foto: Bea Müller

„Das Spiel vor 50 Jahren war, denke ich, ein wichtiger Beitrag auf dem Weg zur Annäherung zwischen Israel und Deutschland. Das ist uns damals gar nicht so richtig klar gewesen“, sagt Herbert Laumen, zweifacher Torschütze in Tel Aviv. Der heute 76-jährige hat in dem kleinen, kinoähnlichen Raum in der „FohlenWelt“, dem Vereinsmuseum von Borussia Mönchengladbach, Platz genommen. Mit weiteren 30 ausgewählten Gästen, darunter auch den Ex-Profis und Israel-Teilnehmern Wolfgang Kleff und Horst Köppel, verfolgt Laumen gespannt die Vorab-Präsentation.

An dem Dokumentarfilm ist er nicht unwesentlich beteiligt. Private Super-8-Aufnahmen von Herbert Laumen lassen den Film sehr authentisch wirken. Sie sind das einzig existierende Film-Dokument und bilden die Grundlage für den Streifen. Neben anderen Zeitzeugen liefern die Historiker Moshe Zimmermann, Lorenz Peiffer und Wolfgang Kraushaar eine politische und geschichtliche Einordnung der Ereignisse.

Gladbachs Trainer-Legende Hennes Weisweiler.

Foto: dpa/Hans Hemann

„Da kommen automatisch wieder die Erinnerungen hoch“, ergänzt Laumens früherer Mitspieler Horst Köppel. „Es war ein denkwürdiger Tag. Das israelische Publikum hat uns begeistert empfangen und zugejubelt.“

Nach Terroranschlägen wurde der Flug ins Ungewisse zum Politikum

Hätte es die Begegnung zwischen Weisweiler und Schaffer und die daraus resultierende Freundschaft nicht gegeben, wäre wahrscheinlich nie diese besondere Fußball-Beziehung zwischen Deutschland und Israel entstanden. Erst vier Jahre zuvor hatten beide Länder ihre diplomatischen Beziehungen offiziell hergestellt.

Allerdings gestaltete sich der „Flug ins Ungewisse“ als schwieriges Unternehmen, auch politisch, wie Helmut Grashoff in seinen „Memoiren“ beschreibt. Es herrschten unruhige Zeiten. Insbesondere im Februar 1970. Antisemitische Terroranschläge in kurzer Folge erschütterten die Welt, und jetzt, nach blutigen zwölf Tagen, sollte es mit dem Flugzeug nach Israel gehen? Die Bundesligaspieler aus Mönchengladbach und deren Frauen drängten darauf, die Reise abzublasen. „Wir hatten Angst. Es war so viel Schlimmes passiert“, erzählt Horst Köppel.

Doch der damalige Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und Verteidigungsminister Helmut Schmidt (SPD) setzten kurzer Hand einen Sonderflug an. Ab Köln/Wahn. Aus diplomatischen Gründen. Mit 25 Personen an Bord hob die Maschine, eine Boeing 707, Richtung Tel Aviv ab. Streng geheim und mit einer Besatzung der Luftwaffe im Cockpit. Es war Montag, 23. Februar 1970, und es war eine Reise, die sich unauslöschlich ins Gedächtnis der kleinen Reisegruppe vom Niederrhein eingebrannt hat.

Bereits zehn Monate später, im Dezember 1970, hob Borussia Mönchengladbach mit einem Jet erneut nach Israel ab – inzwischen als Deutscher Meister. Zahlreiche weitere Flüge des Fußball-Bundesligateams sollten folgen.

Sendetermin, ARD, Montag, 17. Februar, 23.30 Uhr