Interview Wolfgang Kleff zum 70.: „Ich musste mein Leben total ändern“
Am Mittwoch feiert das Gladbacher Urgestein seinen 70. Geburtstag. Fußball spielen darf der ehemalige Torwart nicht mehr.
Mönchengladbach. Er war ein Torwart der modernen Prägung — stark auf der Linie, elegant und fangsicher beim Herauslaufen. Ein Keeper, der seinen Strafraum beherrschte. Und Wolfgang „Otto“ Kleff liebte es, sich am Spiel zu ergötzen und aktiv mitzumachen. Er würde sicher auch in die heutige Zeit passen. „Seine Zeit“ aber waren die legendären Siebziger Jahre mit der Fohlen-Elf von Borussia Mönchengladbach. Vier Jahrzehnte später, am 16. November, wird Kleff 70 Jahre alt. Ruhm, Karriere, Popularität — der Mann hat die grandiose Phase des Traditionsklubs miterlebt. Aber auch die Schattenseiten hat Kleff kennengelernt. Im Gespräch mit unserer Zeitung spricht er über die alten Zeiten, seinen Mentor Hennes Weisweiler, über finanzielle Eskapaden, körperliche Gebrechen und seine Borussia.
Herr Kleff, am Mittwoch werden Sie 70 Jahre alt. Welche Bedeutung hat der Geburtstag für Sie?
Wolfgang Kleff: Ich sehe den 16. November ganz gelassen auf mich zukommen. Im Moment erfreue ich mich meines Lebens, bin dankbar und zufrieden. Schließlich kann ich froh sein, dass ich nach meinem Schlaganfall und schweren Herzproblemen noch unter uns weile. In meiner Brust steckt ja seit einigen Jahren ein Mini-Defibrillator. Ich hatte damals nur noch eine Herzleistung von gut 20 Prozent. Die Werte haben sich inzwischen verbessert. Und wenn mein Herz jetzt aus dem Takt gerät, übernimmt das Gerät die Arbeit. Ich musste mein Leben total ändern.
Was heißt das konkret?
Kleff: Sport ist nahezu tabu. Mein Puls darf 110 Schläge pro Minute nicht überschreiten, dann wird es brenzlig. Also gehe ich viel spazieren und versuche gesund zu leben. Was schwer genug ist. Ich rauche nun mal gerne eine Zigarette, und das Bierchen schmeckt wie eh und je. An gutem Essen soll es auch nicht mangeln. Meine selbst gemachte Erbsensuppe ist der Hammer. Unterm Strich bin ich ein zufriedener Rentner.
Was ist aus den Camps mit Kindern geworden, und gibt es Ihre Fußballschule noch?
Kleff: Das musste ich alles aufgeben. Leider. Sehr schade. Wie gesagt, Stress und jede größere Belastung sind für mich lebensgefährlich. Und wer setzt schon sein Leben aufs Spiel? Es ist unser höchstes Gut.
Sie haben mit Gladbach in den Siebzigern große Erfolge gefeiert, waren fünfmal Meister, dazu Pokalsieger und Uefa-Cup-Gewinner. Sind Sie stolz, Teil dieses Teams gewesen zu sein?
Kleff: Und ob. Wir waren eine großartige Mannschaft, spielerisch stark, schnell und torgefährlich. Ich habe das Spiel, wenn die Jungs mal wieder drauflos stürmten, aus meiner Warte im Tor regelrecht genossen, war — wie ein Fan — begeistert. Von Netzer, Wimmer oder Heynckes Jupp. Und vor mir hielten Berti Vogts, Luggi Müller und Klaus-Dieter Sieloff die Schotten dicht.
Was denken Sie über Hennes Weisweiler, Ihren ersten Trainer und Förderer. Was für ein Mensch war er?
Kleff: Eine absolute Autorität. Manchmal reichte schon ein Blick statt eine Ansprache. Weisweiler verlangte viel, in erster Linie auch Mut im Spiel eins gegen eins. Das käme auch heute noch gut an. Besonders für die jungen Profis war er ein Segen, wie ein Vater — und ein echter Lehrmeister.
Jahrelang gehörten Sie zum Kader der Nationalmannschaft, durften aber nur sechs Länderspiele bestreiten und standen stets im Schatten von Sepp Maier. War das gerecht?
Kleff: Sepp hatte vor allem enorm lange Arme, wie ein Orang-Utan. Spaß beiseite: Er war klasse und hatte mit seinen tollen Paraden großen Anteil am WM-Sieg 1974 gegen die Niederlande. Der bessere Fußballer war ich trotzdem.
Vergleichen Sie einmal den Fußball von damals mit dem von heute.
Kleff: Er ist vor allem athletischer, körperbetonter geworden, und die Räume sind wesentlich enger. Deshalb sind heute hohe Handlungs-Schnelligkeit und clevere Ideen gefragt, wenn es darum geht, einen Abwehrriegel zu knacken. Und man muss vorausschauend sein wie ein Schachspieler. Ob Dreier-, Viererkette oder Fünferkette — Fußball ist keine Wissenschaft, und eines wird immer Priorität haben: Es geht um Tore, um Punkte, um Erfolg.
Und um viel Geld.
Kleff: Aber die Knete ist doch da — und wird verteilt. Also, was ist daran unredlich? Heute verdienen Profis in der Woche im Durchschnitt so viel wie ich in einem Jahr. Ich bin nicht neidisch, nein, ich gönne es allen.
Sie haben für damalige Verhältnisse aber auch nicht schlecht verdient, kamen auf gut 200 000 Mark im Jahr. Gleichwohl geht es Ihnen heute finanziell nicht berauschend. Was ist falsch gelaufen?
Kleff: Einiges. Mein Modegeschäft in der Altstadt von Gladbach lief so lange, bis ich von der Borussia wegging und nach Berlin wechselte. Der Chef, also ich, war weg, und es ging nur noch bergab. Ich habe mich nicht mehr um den Laden gekümmert. Riesenfehler. Denn der Shop sollte nach der Karriere florieren. Dann hatte ich einen neuen Plan.
Ach ja, Sie wollten auswandern und in eine Blumen-Farm investieren oder?
Kleff: Korrekt, ich erhielt das Angebot, als Chef in eine Anthurien-Plantage an der Elfenbeinküste einzusteigen. Ganz so bizarr wie es jetzt klingt, war die Sache nicht. Selbst deutsche Behörden wollten das Engagement in Afrika unterstützen. Das Ding ist aber schief gegangen. Schwamm drüber. Jetzt lebe ich von der Rente. Und das geht. Ich mache mir keine Sorgen mehr, und meine Geburtstagsfeier werden Freunde organisieren. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich hoffe, es wird eine richtig schöne Fete.
Mönchengladbach ist Ihre Heimat, Borussia Ihr Verein. Haben Sie nie einen Gedanken daran verschwendet, den Klub zu wechseln?
Kleff: Einmal wäre ich beinahe schwach geworden. Mir hat damals die Spielweise von Ajax Amsterdam imponiert, und tatsächlich hat der Verein, mit Johan Cruyff seiner Zeit ein Top-Klub in Europa, Anfang der Siebziger Jahre angeklopft. Dann bin ich aber doch Borussia treu geblieben. Ich habe mich in Gladbach wohl gefühlt, hatte meinen Stammplatz und meine Freunde. Was wollte ich mehr?
Apropos Borussia: Was erwarten Sie in dieser Saison von Andre Schubert und seinem Team?
Kleff: Eines vorweg: Was die Mannschaft in den vergangenen Jahren geleistet hat, ist phänomenal. Das große Ganze stimmt. Diesmal muss sich Gladbach aber im oberen Bereich auf einen harten Kampf einstellen. Zumal das Team den Weggang von Stranzl, Xhaka und Nordtveit noch nicht verkraftet hat. Ab Platz drei, hinter Bayern und Dortmund, ist alles offen. Köln wird für mich die Überraschungs-Mannschaft, auch Hoffenheim, Hertha und Leipzig werden eine gute Rolle spielen. Durch die hohe Belastung wird es nicht nur für die Borussia schwer, den Superplatz aus der vergangenen Saison zu wiederholen. Erneut Rang vier wäre ein Traum, ein Europa-League-Platz ist realistischer. Dann muss aber auch alles passen.