„Erwürgtes Tor“ von Großkreutz erleichtert BVB
Marseille (dpa) - Das erste Bierchen und die ersten Gesänge gab es bereits in der Kabine. Und auch bei der anschließenden Happy Hour im Mannschaftshotel gewährte der ungewohnt generöse Trainer Jürgen Klopp seinen Profis den einen oder anderen Schlummertrunk.
Das 2:1 (1:1) im nervenaufreibenden Thriller von Marseille löste die Anspannung der vergangenen Tage. Im Mittelpunkt der Spontanparty stand Kevin Großkreutz. „Das ist ein geniales Gefühl“, kommentierte der Dortmunder Multifunktionsspieler den Schuss ins Glück. Ähnlich euphorisch ließ Klopp die Schlüsselszene aus der 87. Minute Revue passieren: „Wir haben das Schicksal durch ein erwürgtes Tor erzwungen.“
Nach bedenklichem Chancenwucher seiner Mitstreiter nahm sich Großkreutz ein Herz und beförderte den Ball im Fallen von der Strafraumgrenze in das untere Tor-Eck - auf kuriose Art und Weise. „Eigentlich habe ich den Ball gar nicht richtig getroffen“, gestand der gebürtige Dortmunder, der nach seinem Treffer den Zaun vor der schwarzgelben Fan-Tribüne erklomm und sich feiern ließ.
Die aus der Not geborene Idee von Klopp, den zunächst als Außenverteidiger eingesetzten Großkreutz in den letzten Minuten auf seine eigentlich angestammte Angriffsposition zu beordern, erwies sich als Volltreffer. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke war voll des Lobs für den Coach: „Zunächst habe ich mich ein wenig gewundert. Aber es war ein genialer Schachzug. Kevin ist einer, der diesen unfassbaren, unbändigen Willen hat.“
Aus Frust wurde Lust. Nach den verlorenen Spitzenspielen gegen den FC Bayern und Bayer Leverkusen in der Bundesliga gab es endlich wieder etwas zu feiern. „Wir hatten ein paar weniger schöne Tage, heute ist ein schöner Tag. Den nehmen wir gerne mit“, sagte Klopp. Watzke nutzte die Gelegenheit, um sich die Kritiker der vergangenen Wochen zur Brust zu nehmen: „Viele haben uns ja schon am Scheideweg oder vor dem Börsen-Crash gesehen oder ähnlichen Unfug. Jetzt haben wir diese Gruppe sogar als Sieger abgeschlossen - und das ist ein echtes Ausrufezeichen.“
Erstmals in der Geschichte der Champions League blieb einem Team mit zwölf Punkten der Einzug in das Achtelfinale verwehrt. Dabei wähnte sich der SSC Neapel bis kurz vor dem Abpfiff der Partie gegen den FC Arsenal (2:0) noch am Ziel. Schließlich schien den Dortmundern nach dem frühen Treffer von Robert Lewandowski (4.) und dem Ausgleich durch Souleymane Diawara (14.) im Duell mit Olympique Marseille die Zeit davon zu laufen. Doch Großkreutz schoss die Italiener im Fernduell aus dem Wettbewerb. „Von der Spannung her hatte das Malaga-Qualität“, befand Klopp in Anspielung auf den erst in der Nachspielzeit gesicherten Sieg über Malaga im Viertelfinale der vorigen Saison.
Nicht nur bei der taktischen Maßnahme mit Großkreutz bewies der Coach Geschick. Auch das Risiko, mit Marian Sarr einen sowohl in der Bundesliga als auch in der Champions League bisher nicht eingesetzten Spieler in die Startelf zu beordern, machte sich bezahlt. Der zu Jahresbeginn von Bayer Leverkusen verpflichtete 18 Jahre alte Debütant verblüffte mit einem tadellosen Auftritt in der Innenverteidigung. Dem Jungstar, der noch nicht einmal den Führerschein hat, gebührte ein Sonderlob des Trainers: „Das war cool. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er einen Zweikampf verloren hat.“
Die Erleichterung aller Beteiligten, bei der Auslosung noch in einem der Töpfe zu sein, war riesengroß. Als mögliche Gegner kommen der AC Mailand, Olympiakos Piräus, Galatasaray Istanbul, Manchester City und Zenit St. Petersburg infrage. Watzke atmete tief durch: „Zur Auslosung der Europa League wäre ich nicht gefahren. Das hätte ich bis Montag emotional nicht geschafft.“