Hodgson und seine englischen Patienten

London (dpa) - Kurz vor dem Start der Fußball-Europameisterschaft hat Trainer Roy Hodgson keine funktionierende Mannschaft, dafür aber viele englische Patienten. Nach dem mageren 1:0 gegen Belgien musste er den Ausfall von Chelseas Abwehrrecken Gary Cahill verkraften.

Die Defensive Marke Chelsea war so ziemlich das einzige, was kurz vor der Europameisterschaft im dezimierten Team der „Three Lions“ noch einwandfrei funktionierte. Doch nun sind es ausgerechnet die mit der Champions-League-Trophäe dekorierten Abwehrrecken, die Englands Nationalcoach Roy Hodgson große Sorgen bereiten. Gary Cahill musste seine EM-Teilnahme absagen, John Terry ist angeschlagen. Das Lazarett mit englischen Patienten ist größer geworden. Für den von Hiobsbotschaften am Fließband geplagten Coach wird die Aufstellung einer schlagkräftigen Truppe für den EM-Auftakt am 11. Juni in Donezk gegen Frankreich zum „Casino Royale“.

Cahill hatte sich am Samstag beim 1:0 (1:0)-Arbeitssieg gegen Belgien im letzten Testspiel vor der Abreise ins EM-Quartier schwer verletzt. Belgiens Stürmer Dries Mertens schubste Cahill mit Wucht gegen dessen herauslaufenden Torwart Joe Hart. Der Verteidiger krachte mit dem Kiefer gegen die Schulter des Keepers und blieb zum Schrecken der 85 000 Zuschauer auf dem Rasen des Wembleystadions liegen. Noch in der Nacht zum Sonntag wurde der 26-Jährige eingehend untersucht. Am Sonntag kam die niederschmetternde Diagnose: Doppelter Kieferbruch.

Der englische Verband FA und Trainer Hodgson hatten zunächst auf Glück im Unglück gehofft. „Wenn es nur eine schwere Prellung ist, dann sollte ihn das nicht abhalten“, hatte der 64-jährige Coach mit sorgenvoller Miene verkündet. Am Sonntag musste er notgedrungen Defensivspieler Martin Kelly vom FC Liverpool als Ersatz berufen.

Cahills in den Champions-League Abwehrschlachten gegen den FC Barcelona sturmerprobter Defensivpartner John Terry musste ebenfalls ins Krankenhaus. Hodgson nahm ihn gegen Belgien in der 73. Minute wegen eines festen Oberschenkelmuskels vom Platz. „John Terry hat ein Muskelproblem, das untersucht werden muss“, sagte FA-Funktionär Trevor Brooking im BBC-Radio. Terry signalisierte am Sonntag aber grünes Licht für die EM.

Gerade die Defensive um Terry und Cahill war die große Hoffnung des neuen Teamchefs Hodgson. „Was die Abwehr angeht, haben wir nicht so schlecht gespielt“, sagte der Trainer auch nach der aus Sicht der Engländer eher ernüchternden Generalprobe gegen Marc Wilmots engagierte, aber letztlich harmlose Belgier. „Aber wir haben sicherlich eine Menge Arbeit vor uns, um unsere Offensiv-Form zu verbessern.“ „Wir schaffen es im Moment noch nicht, die Bälle in die Lücken hinter den Mittelfeldspielern zu kriegen.“

Auch in der Kreativabteilung plagen Hodgson Verletzungssorgen. Nach den Absagen von Frank Lampard (Chelsea) und Gareth Barry (Manchester City) fehlen ihm die Alternativen im zentralen Mittelfeld neben Liverpools Routinier Steven Gerrard. Und Stürmerstar Wayne Rooney ist erst für das dritte und letzte Gruppenspiel gegen Gastgeber Ukraine nach seiner Sperre wieder einsatzbereit.

Immerhin erfüllte der zweite Stürmer Danny Welbeck seine Aufgabe gegen Belgien. „Das war das Highlight des Spiels“, sagte Hodgson mit Zweckoptimismus in der Stimme über den 21 Jahre alten Torschützen von Manchester United. Auch die englischen Medien suchen vor lauter Verzweiflung kurz vor der EM schon im Negativen das Fünkchen Hoffnung. „Niemand erwartet von uns, dass wir gewinnen“, schrieb der „Sun“-Kolumnist Terry Venables. „Das könnte den Druck nehmen.“