Fußball-Botschafter Stielike: Heißer Job am Golf

Doha (dpa) - Uli Stielike hat seinen Golf-Platz gefunden. In Katars Hauptstadt Doha genießt der frühere Libero alle Freiheiten. Derzeit trainiert der 56-Jährige Al-Sailiya. Fußball lebt er noch - wie einst als Profi.

Aber: „2015 ist für mich als Vereinstrainer Schluss!“

Bevor der Ball rollt, ruft der Muezzin. Uli Stielike muss noch warten. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn. Heiß hier. Der Coach aus Germany kennt und respektiert das Gebets-Ritual seiner Spieler, zweieinhalb Jahre ist der deutsche Fußball- Botschafter schließlich schon als Clubtrainer in Katar. Auch am Abend kühlt es in Doha kaum ab, 35 Grad Celsius zeigt das Thermometer noch kurz vor halb sieben.

Die Kicker von Al-Sailiya schlendern in den Mittelkreis, gleißendes Flutlicht macht die Nacht zum Tag. Irgendwie leuchtet das satte Grün auf dem Trainingsplatz künstlich, doch der Rasen-Teppich ist echt. Der kleine Zeugwart hat seinen Job schon gemacht, gerade noch Bälle verteilt und schnell mal selbst jongliert. Eins, zwei, drei - perfekt. Ein Mann für die A-Elf? „Den rufen hier alle Maradona“, sagt Stielike grinsend, schaut auf die Uhr und greift zur Pfeife. Punkt 18.30 Uhr. Zwei schrille Pfiffe: Das Training beginnt.

Einen Maradona hätte Stielike gern in seiner Mannschaft. Schließlich ist der Sport Club Al-Sailiya gerade aus der Qatar Stars League abgestiegen, nun beginnt der Neuaufbau. „Wir sind in der Umstrukturierung, im Moment ist alles ein bisschen ohne Hand und Fuß. Jetzt wollen wir das Ganze mal umkrempeln. Wir setzen künftig auf die Jugend“, erklärt Stielike.

Deshalb trainiert das Nachwuchsteam an diesem Abend mit der A-Mannschaft, die am Ende der Saison als elfter von zwölf Clubs abgestiegen ist. Oder doch nicht? „Wir hoffen noch, dass die erste Liga aufgestockt wird, dann würde es keine Absteiger geben“, meint der 56-Jährige.

Stielike kennt das Emirat am Persischen Golf noch aus alten Zeiten als DFB-Nachwuchstrainer, auch mit der Auswahl der Elfenbeinküste war der knorrige Perfektionist schon in dem islamischen Zwergstaat, halb so groß wie Hessen. Der Weltenbummler aus dem nordbadischen Ketsch könnte in Doha gut und gern als Reiseführer arbeiten. Er fühlt sich wohl hier in seinem Haus, seine Frau auch: Sie hält sich im Ladies Club im gigantischen „Aspire“-Sportzentrum fit.

Abends wird deutsch gekocht. Stielike geht es gut, er muss sein Salär in Katar nicht versteuern, Doha ist ein El Dorado: Trotz des Abstiegs hat der Trainer seinen Vertrag um zwei Jahre, bis Juni 2013, verlängert. Nur das „Gesellige“ kommt ihm leider zu kurz. „Hier ist jeder am liebsten für sich allein.“

Als er Anfang November 2008 vom allmächtigen Chef des Schweizer Clubs FC Sion, Christian Constantin, gefeuert wird, lässt ein neues Angebot nicht lange auf sich warten. Nach 20 Jahren als Trainer zieht es den Europameister von 1980 erstmals in den Orient: Er folgt (auch) dem Lockruf des Geldes und heuert bei Al-Arabi an. „Am 4. Januar 2009 war ich hier und habe sofort unterschrieben“, berichtet der Mann mit dem Schnauzer. „14 Tage später habe ich angefangen.“

Nach anderthalb Jahren wechselt er zum Liga-Konkurrenten Al-Sailiya. „Das habe ich nie bereut! Ich bin nur wahnsinnig enttäuscht, dass wir in der Rückrunde eine sportliche Talfahrt erlebt haben: Nur zwei Punkte aus elf Spielen“, sagt der Coach. Das soll sich ändern, da sind sich Präsident und Trainer einig. „Ich habe sportlich alle Freiheiten“, versichert „Ole Stilleke“: Auf der Homepage des Vereins hat der berühmte Deutsche offenbar noch einen Doppelgänger.

Als Spieler und Trainer hat Stielike die halbe Welt gesehen, doch Katar hat ihn umgehauen. Und das nicht wegen der Hitze. „Meine Erwartungen sind in jeder Hinsicht voll übertroffen worden! So etwas findest du in Europa nicht. Die Infrastruktur ist super. Ich kenne keine Stadt weltweit, die so viele Sportplätze und Hallen hat und so viele Möglichkeiten. Auch nicht New York oder Madrid.“

Stielike muss es wissen. Schließlich spielt er acht Jahre bei Real Madrid, kommt 1977 schon mit 22 Jahren nach Spanien. „Real Madrid hat mich zum Mann gemacht. Und in Deutschland wurde ich als Verräter hingestellt“, erinnert er sich. Als „Auslands-Legionär“ verbannt der Deutsche Fußball-Bund (DFB) den fünfmaligen Nationalspieler aus der Auswahl. Vorübergehend. Weitere 37 Einsätze im DFB-Trikot sollen dann doch noch folgen. Stielike wird gebraucht.

Bei den „Königlichen“ ist der Nobody bald ein kleiner Fürst und genießt dort Kultstatus. In 215 Spielen zwischen 1977 und 1985 erzielt der drahtige Deutsche 41 Tore, das haben Günter Netzer und Paul Breitner im Real-Trikot nicht einmal zusammen geschafft. 18 Mal tanzt der junge Profi mit dem „weißen Ballett“ beim Clasico gegen den FC Barcelona mit, viermal in Serie wird er zum besten ausländischen Spieler der Primera Division gekürt.

„Die Liebe zu Real ist noch heute da“, sagt Stielike, die Spiele der spanischen Eliteliga kann er in Katar natürlich live im Fernsehen verfolgen. So ist der Spanien-Freund immer auf dem Laufenden, verfolgt gespannt die Entwicklung von Mesut Özil und Sami Khedira. Die jüngsten Transfers von Nuri Sahin und Hamit Altintop sind dem Fußball-Experten natürlich auch nicht entgangen.

Stielike nickt anerkennend. „Die Entwicklung von Özil und Khedira hat mich positiv überrascht. Beide sind Stammspieler, aber Mesut hat nach der ersten Euphorie oft auf der Bank gesessen. Da sieht man, wie umkämpft die Stammplätze sind. Und die nächste Saison wird schwieriger“, sagt er voraus.

Real hat innerhalb eines Jahres gleich vier Super-Talente aus der Bundesliga verpflichtet. „Dass sie nun auch Sahin geholt haben, spricht für die gute Nachwuchsarbeit in Deutschland. Offenbar war man mit Khedira und Özil sehr zufrieden“, meint der langjährige Nachwuchstrainer des DFB.

„Für Nuri wird das um Einiges schwerer als in Dortmund. Beim BVB bist du der junge Held, in Madrid musst du dir das Wohlwollen der Fans in jedem Spiel neu erarbeiten“, erklärt Stielike. Und: „Vorschusslorbeeren zählen bei Real Madrid nicht. Da musst du in jedem Spiel deinen Mann stehen.“

Wie der Uli als Libero zu seinen besten Zeiten. Und später als Trainer: In der Schweiz (1989 bis 1994), bei Waldhof Mannheim (1994/95), als Assistent von DFB-Teamchef Erich Ribbeck (1998 bis 2000) und für verschiedene DFB-Nachwuchsteams (2000 bis 2006).

Noch einmal wischt sich der Mann mit dem knallroten Clubtrikot den Schweiß von der Stirn. „Warten Sie mal ab, wenn erst die 40 auf dem Thermometer steht“, meint Stielike grinsend. Der Juli ist in Katar der heißeste Monat, aber der Weltverband FIFA wird wohl von dem üblichen Sommertermin für die WM-Endrunde nicht abrücken.

„Wenn man hier eine vernünftige WM spielen will, dann muss man das im Januar machen“, sagt Stielike. Punkt. Dass die Gastgeber 2022 sicher mit von der Partie sind, ist schön für die stolzen Wüstensöhne. Doch Stielike warnt: Das Potenzial der jetzigen Nationalmannschaft ist noch weit von WM-Reife entfernt. Der neue Auswahlcoach Milovan Rajevac dürfte es schwer haben.

Der Serbe übernahm das Amt erst Ende Februar; vom Franzosen Bruno Metsu hatten sich die Kataris nach dem Viertelfinal-Aus beim Asien- Cup im eigenen Land getrennt. Nur: Rajevac wurde nicht für die Heim-WM 2022 geholt, sondern für 2014. „Er wird es schwer haben. Das 1:1 im Testspiel gegen Russland war ein Achtungserfolg“, meint Stielike. „Aber da gibt es noch viel Nachholbedarf. Selbst Saudi-Arabien ist schon weiter als Katar. Mannschaften wie Iran und Irak haben mehr fußballerisches Potenzial.“

Alles Zukunftsmusik für Stielike, der 2022 sowieso längst Rentner ist - und jetzt erst mal Urlaub in Deutschland und in seiner Wahlheimat Spanien macht. Als Siebenjähriger hatte Klein-Uli, der selbst immer mit „Ulli“ unterschrieben hat, bei der SpVgg 06 Ketsch mit dem Fußball angefangen. „2015 ist für mich als Vereinstrainer Schluss! Ich habe mir fest vorgenommen, dann nicht mehr mit kurzer Hose auf dem Platz zu stehen.“ Das klingt irgendwie endgültig. Wie Stielikes Pfeife nach dem schweißtreibenden Training. Abpfiff.