Bayer hat viel Geld, muss aber einen großen Aderlass verkraften Ein kurzfristiger Neubau in Leverkusen
Leverkusen · Lars Bender ist bei Bayer Leverkusen als unermüdlicher Fleißarbeiter unersetzlich.
Peter Bosz ist ein Niederländer, und dort im Land von Käse und Campingwagen, um die schnödesten Vorurteile einzusammeln, ist die Elftal ein Heiligtum. Und sie zu trainieren das Größte. Weil der Job frei geworden ist, musste sich auch Bayer Leverkusens Trainer die Frage gefallen lassen, wann er Bayer verlassen und im Team Oranje auftauchen würde. Doch das scheint kein Thema für Bosz. „Dafür müsste man ein Angebot haben, also beschäftige ich mich nicht damit. Ich muss ohnehin über meine Mannschaft nachdenken. Damit bin ich ausgelastet.“
Was macht Bosz so nachdenklich vor der neuen Saison?
Da gibt es einiges: Leverkusen schwimmt jetzt im Geld, hat aber erheblich Substanz verloren und muss alle Künste einer Scoutingabteilung mit seriöser Transfer-Vorarbeit abrufen. Kai Havertz hat seinen Wechsel zum FC Chelsea finalisiert, der mit Ratenvereinbarungen rund 100 Millionen Euro bringen soll. Kevin Volland ist zum AS Monaco entschwunden – für weniger als 15 Millionen. Auch Stürmer Lucas Alario will noch weg, also ist die Riege der Leistungsträger wie in der vergangenen Saison, als Julian Brandt ging, ausgedünnt. Und: Leon Bailey sitzt in jamaikanischer Quarantäne, weil er auf dem Geburtstag des an Corona erkrankten Sprinters Usain Bolt gefeiert hatte. Nach und nach wird sich der Kader komplettieren, da darf man sicher sein. Aber: Bosz hat eine Art des Spiels etabliert, die nicht jeder Spieler sofort antizipiert, Vieles braucht, muss einstudiert werden. Zeit hat er nicht: Nach dem späten Europa-League-Auftritt blieben zwei Wochen Vorbereitungszeit, neue Spieler kommen nach und nach. Improvisation ist gefragt. Trainer wie Bosz mögen das nicht.
Havertz’ Abgang tut weh. Ließ er sich vermeiden?
Nein. Der gebürtige Aachener ist für sein Alter so weit, dass er den nächsten Schritt machen musste. Die Premier League wird ihn aufs höchste Level heben. Und für Leverkusen bleibt ein Batzen Geld, das man geschickt in die nächste Generation investieren kann. Das ist eine Fähigkeit, die Bayer immer unter Beweis gestellt hat. Aber: Der 21-Jährige, der zehn Jahre im Verein war, geht, bevor er auch aus Marketingsicht sein Potenzial für die nach öffentlicher Aufmerksamkeit und Liebe gierenden Leverkusener so richtig entfalten konnte. Das schmerzt besonders.
Ist wegen der Abgänge Feuer unter dem Dach?
Ob Bosz verärgert sei über neue Ungewissheit. „Nicht ärgern, nur wundern“, sagte er. Zugleich hielt der Trainer ein Plädoyer für das Management um Rudi Völler und Simon Rolfes, wies auf die Unwägbarkeiten von Corona und einer völlig kuriosen Saisonvorbereitung hin. „Mir wäre es auch lieber, sechs Wochen vorzubereiten und am ersten Tag die komplette Mannschaft beisammenzuhaben. Das ist aber fast nie mehr der Fall in diesem Geschäft“, so Bosz. Klar ist: Der Trainer will Neuzugänge. Immerhin gingen mit Havertz und Volland rund 30 Tore und 30 Vorlagen. Der zuletzt von AS Rom an RB Leipzig ausgeliehene Tscheche Patrick Schick kommt für 26,5 Millionen, ist aber wohl nur ein Anfang.
Wer wird Havertz nachfolgen?
Florian Wirtz (17), abgeworben in der vergangenen Saison vom 1. FC Köln. Dort sollte er langsamer aufgebaut werden, als es in Leverkusen geschah: Wirtz bekam viele Spielanteile und ist das nächste Versprechen unter dem Bayer-Kreuz.
Was kann gehen für Leverkusen?
Die Abwehr um Torwart Lukas Hradecky, Lars Bender, Tapsoba, Jonathan Tah, Wendell und Daley Sinkgraven steht gut, ein Neuer soll zudem noch kommen. Davor stehen Julian Baumgartlinger und Charles Aranguiz, Letzterer ist nun Kapitän geworden. Karim Bellarabi, Kerem Demirbay und der starke, aber wechselhafte Moussa Diaby sind gehobenes Niveau, vorne wird es mit Alario und Schick etwas dünn. Das Team hat ein leichtes Strukturproblem: Es gibt viele alte und viele junge Spieler – und wenige dazwischen. Für die Europa League sollte es reichen, mehr aber nicht.