Niersbach tritt als DFB-Chef zurück - Neue Erkenntnisse?
Frankfurt/Main (dpa) - Die Affäre um die WM 2006 hat den bislang mächtigsten Mann des deutschen Fußballs sein Amt gekostet. Wolfgang Niersbach trat am Montag als DFB-Präsident zurück. Beendet ist dieser Skandal damit aber noch lange nicht.
Denn Niersbachs Nachfolger Reinhard Rauball und Rainer Koch deuteten in ihren Stellungnahmen an, dass es rund um die dubiosen Geldflüsse im Zusammenhang mit der Vergabe der WM neue Erkenntnisse gibt. „Wir müssen feststellen, dass die Kanzlei Freshfields eine Reihe von Punkten zu Tage gefördert hat, die weiterer Aufklärung bedürfen“, sagte Koch mit Bezug auf die vom Deutschen Fußball-Bund selbst eingeschalteten Ermittler.
Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete am Abend, dass bei diesen Ermittlungen ein Schriftstück gefunden worden sei, das den Verdacht des Stimmenkaufs vor der WM-Vergabe noch einmal erhärte. Dabei soll es sich unter Berufung auf mehrere DFB-„Insider“ um den Entwurf eines Vertrages mit einem Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees handeln, das an der Abstimmung über diese Vergabe beteiligt war. Unterschrieben werden sollte der Vertrag noch vor der Entscheidung darüber, ob Deutschland oder Südafrika den Zuschlag erhält.
Koch sagte im ZDF, dass es „eine Reihe von Gründen gibt, genau zu untersuchen, was hat der DFB gemacht rund um die Vergabe der WM im Jahr 2000“. Gleichzeitig forderte er Franz Beckenbauer als Chef des damaligen Organisationskomitees dazu auf, „dass er sich intensiver einbringt in die Aufklärung der Vorgänge.“
Koch als Chef des bayerischen Landesverbands und Rauball als Präsident des Ligaverbands waren bislang die 1. Vizepräsidenten des DFB. Sie rücken gemäß der Satzung nun erst einmal kommissarisch an die Spitze des größten Sportfachverbands der Welt.
Niersbach hatte stets betont: Das „Sommermärchen“ war nicht gekauft. Tatsächlich aber scheiterte er am Ende daran, dass er sich schon bei den bisherigen Erkenntnissen dieser Affäre ständig in Widersprüche verstrickte und zur Klärung der vielen offenen Fragen kaum etwas beitragen konnte. Er übernehme die „politische Verantwortung“ in diesem Skandal, ohne sich nach wie vor selbst für etwas verantwortlich zu fühlen, erklärte der 64-Jährige am Montag nach einer Präsidiumssitzung in Frankfurt. „Das Amt des DFB-Präsidenten darf damit nicht belastet werden. Das Amt steht über meiner Person.“
Persönlich ging für Niersbach endgültig vieles von dem kaputt, was ihm immer wichtig war: seine Präsidentschaft, seine Reputation, auch seine Freundschaft zu Franz Beckenbauer. In der vergangenen Woche kamen dann auch noch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung und die Durchsuchungen sogar bei ihm zu Hause in Dreieich hinzu. Trotzdem wird Niersbach seine Ämter in den Exekutivkomitees des Weltverbandes FIFA und der Europäischen Fußball-Union UEFA behalten. Dafür sprachen sich seine bisherigen Präsidiumskollegen beim DFB aus.
„Er hat eine sportpolitische Verantwortung zugunsten des deutschen Fußballs wahrgenommen. Dafür gebührt ihm eine Menge Respekt“, meinte Rauball. Auch Bundestrainer Joachim Löw reagierte „sehr betroffen“ auf den Rücktritt seines engen Vertrauten. Er sei „überrascht und sehr traurig“, sagte er vor dem Teamhotel der deutschen Nationalmannschaft, die sich gerade in München auf ihre beiden Länderspiele gegen Frankreich und die Niederlande vorbereitet.
Niersbachs Vorgänger Theo Zwanziger meinte dagegen lapidar: „Das ist eine Sache, die den DFB und Wolfgang Niersbach betreffen, das habe ich nicht zu bewerten.“ Zwanziger brachte seinen Intimfeind aber sogar am Tag des Rücktritts noch einmal in Bedrängnis, in dem er die Zusammenarbeit mit den externen Ermittlern von Freshfields aufkündigte. Diese seien alles andere als unabhängig, weil neben einer privaten Verbindung zu Niersbachs Büroleiter nun auch noch eine geschäftliche Beziehung zu dem lebenslang gesperrten FIFA-Funktionär Mohamed bin Hammam und zum Staat Katar enthüllt worden sei.
Niersbach selbst kämpfte noch beim Abgang um seinen Ruf. Er habe „vom ersten Tag der Bewerbung“ bis „zur Schlussdokumentation des Sommermärchens nicht nur mit großer Leidenschaft, sondern auch immer sauber, vertrauensvoll und korrekt gearbeitet“, betonte er in einer schriftlichen Erklärung. „In den mir zugeteilten Bereichen Marketing, Medien, Akkreditierungen und Veranstaltungsorganisation kann ich mit gutem Gewissen sagen, dass ich mir persönlich absolut nichts vorzuwerfen habe.“ Umso „deprimierender und schmerzhafter“ sei es für ihn, „neun Jahre später mit Vorgängen konfrontiert zu werden, in die ich damals nicht einbezogen war und die auch für mich viele Fragen offen lassen.“ Er bleibe dabei, „dass ich von den Hintergründen der im Raum stehenden Zahlungsflüsse keinerlei Kenntnis hatte.“
Genau das hat dem 64-Jährigen zuletzt aber kaum noch jemand abgenommen. Im Zentrum der gesamten Affäre steht eine Zahlung von 6,7 Millionen Euro, die der frühere Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus zunächst für das WM-Organisationskomitee an die FIFA überwiesen hat und die dann im Jahr 2005 unter falscher Deklarierung von den deutschen WM-Machern an den Franzosen zurückfloss.
Wofür genau war dieses Geld bestimmt? Und wann genau erfuhr das OK-Mitglied Niersbach davon? Diese Fragen sind nach wie vor ungeklärt, denn er selbst behauptete stets: in diesem Sommer. Aussagen seiner früheren OK-Kollegen und auch Dokumente, die „Der Spiegel“ veröffentlicht hat, lassen jedoch darauf schließen: Niersbach wusste über die ominösen 6,7 Millionen schon deutlich länger Bescheid, als er öffentlich immer zugab.
Niersbach war Journalist beim Sport-Informations-Dienst (sid), als er 1988 zum DFB wechselte und seinen steilen Aufstieg innerhalb der Sportpolitik begann. Er wurde zunächst als Pressechef für die EM 1988 im eigenen Land engagiert und arbeitete sich dann beim Verband hoch: zum Mediendirektor, zum Vizepräsidenten des Organisationskomitees für die WM 2006, zum Generalsekretär. Am 2. März 2012 wurde er als Nachfolger von Theo Zwanziger an die Spitze des DFB gewählt.
Noch vor wenigen Wochen sah es so aus, als könne Niersbach sogar zum neuen UEFA- oder FIFA-Chef aufsteigen. Stattdessen begann sein schneller und tiefer Fall. „27 Jahre DFB waren für mich immer viel mehr als ein Beruf.“ Das sei für ihn „eine Herzensangelegenheit“ gewesen. Mit seinem Rücktritt wolle er den DFB vor allem schützen.